Champions-League-Historie: Das Wunder von Istanbul 2005
- Champions-League-Auftakt 24/25 am Dienstag
- AC Mailand trifft auf Liverpool
- Legendäres Finale 2005
Von Hendrik Gag
Endlich ist es so weit, die Champions-League-Saison 2024/25 beginnt. Endlich wieder Europapokalnächte unter Flutlicht, endlich wieder die Duelle der Besten der Besten um die Krone Europas. Gleich zum Auftakt hält die Königsklasse eine Partie parat, die wie keine zweite für die Glanzlichter, die der Wettbewerb liefert, steht: Die AC Mailand trifft auf den FC Liverpool. Das Finale zwischen den beiden Teams 2005 gilt gemeinhin als das beste Endspiel, dass die Champions League jemals gesehen hat.
Wenn die beiden Klubs am kommenden Dienstagabend (17.9.) im San Siro aufeinandertreffen, ist die Ausgangslage klar: Der FC Liverpool ist der klare Favorit, ganz anders sah es 2005 aus: Dass der FC Liverpool überhaupt ins Finale eingezogen ist, war bereits eine Überraschung. Von der Mannschaft heutiger Tage, die auf beinahe jeder Position Weltklasse besetzt ist, ist die damalige Truppe weit entfernt.
Neben den damals 24 bzw. 23-jährigen Steven Gerrard und Xabi Alonso lässt das Team große Namen vermissen. Gegen Milan starten unter anderem John Arne Riise, Steve Finnan und Djimi Traoré. In der Premier League beendet der LFC die Saison als Fünfter, ganze 37 Punkte hinter Meister Chelsea.
Die Rossoneri hatten hingegen bereits zwei Jahre zuvor den Henkelpott gewonnen und bieten eine Elf auf, die jedem Fußball-Nostalgiker das Wasser im Mund zusammenlaufen lässt: Paolo Maldini, Alessandro Nesta, Andrea Pirlo, Kaka und der amtierende Ballon d'Or-Sieger Andriy Shevchenko. Man könnte auch die ganze Startelf aufzählen - die Rollen sind klar verteilt.
Liverpool chancenlos in der ersten Halbzeit
Steven Gerrard zeigt sich vor der Partie dennoch angriffslustig: "Wir waren diese Saison stets die Underdogs und werden auch in Istanbul der Außenseiter sein. Aber auch Underdogs sind bisweilen giftig und gute Wachhunde."
Auf dem Platz ist von dieser Einstellung zu Beginn jedoch nichts zu sehen. Bereits nach 52 Sekunden besorgt der 36-jährige Milan-Kapitän Maldini nach einem Pirlo-Freistoß die Führung. In der 39. Minute legt Stürmer Hernan Crespo nach, fünf Minuten später schnürt der Argentinier nach einem herrlichen Pass von Kaka den Doppelpack mit einem gekonnten Lupfer. 3:0 zur Pause, das Finale scheint entschieden, Liverpool war in der ersten Halbzeit so chancenlos wie befürchtet.
"Als ich auf die Umkleide zuging, litt ich unter einer furchtbaren Kombination aus Verzweiflung und Demütigung", erklärte Innenverteidiger Jamie Carragher. Liverpool-Coach Rafa Benitez versucht, seine Mannen aufzumuntern: "Wenn wir ein frühes Tor schießen, ist vielleicht noch etwas drin."
Auch die Fans stecken trotz des deutlichen Rückstandes nicht den Kopf in den Sand - im Gegenteil. Als die Mannschaft aus der Kabine kommt, ertönt die Vereinshymne "You'll never walk alone" aus der Liverpooler Fankurve. "Das war die beste Leistung der Fans in meiner gesamten Karriere. Dass sie bei uns geblieben sind und diese Stimme und Unterstützung gefunden haben, nach der Leistung, die wir gemeinsam gezeigt haben, war unglaublich", schwärmt Gerrard 18 Jahre später in einem Interview mit der Vereinswebsite.
"Sechs Minuten des Wahnsinns"
Zum Wiederanpfiff bringt Benitez den Sechser und heutigen Sky-Experten Didi Hamann für Rechtsverteidiger Finnan ins Spiel und stellt von einem 4-4-1-1 auf ein 3-5-2 um. Die Umstellung hilft den Reds mehr Kontrolle und Ruhe ins Spiel zu bekommen und macht möglich, was Milan-Trainer Carlo Ancelotti später "die sechs Minuten des Wahnsinns" taufen sollte.
In der 54. Minute erzielt Gerrard per Kopf den Anschlusstreffer, nur zwei Minuten später bezwingt Vladimir Smicer Milan-Keeper Dida mit einem Weitschuss. Wiederum vier Minuten später zeigt Schiedsrichter Mejuto Gonzalez auf den Punkt. Gennaro Gattuso hatte Gerrard im Stafraum zu Fall gebracht, die Chance zum Ausgleich. Xabi Alonso tritt an, der Spanier schießt flach ins linke Eck und scheitert an Dida - gedankenschnell ist Alonso als Erstes am Abpraller und stochert den Ball über die Linie. 3:3!
Die Reds hatten das Unmögliche möglich gemacht und die bereits sicher geglaubte Niederlage abgewendet, mit 3:3 geht es in die Verlängerung. Dort hat der große Favorit die Riesenchance, sich den Titel doch noch zu sichern. In der 117. Minute wuchtet Shevchenko eine Flanke per Kopf Richtung Liverpooler Gehäuse, LFC-Keeper Jerzy Dudek kann parieren, beim Nachschuss vom Ukrainer aus einem Meter liegt der Torhüter erst noch auf dem Boden und schafft es dennoch blitzschnell die Hand an den Ball zu bekommen und über die Latte zu lenken. "Ich werde nie begreifen, wie er diesen Ball halten konnte", sagt Shevchenko nach dem Spiel.
Es ist der Beginn von Dudeks Heldengeschichte, die im anschließenden Elfmeterschießen fortgeführt wird. Milan vergibt die ersten beiden Versuche, Serginho schießt über das Tor, Pirlo scheitert an Dudek. Für Liverpool treffen Hamann und Cissé. Anschließend verwandeln Tomasson und Kaka auf Mailänder Seite, während für den LFC Riise an Dida scheitert und Smicer die Nerven behält.
Erneut kommt es zum Duell Shevchenko gegen Dudek. Im fünften Versuch für Milan tritt der Ukrainer an und zielt in die Mitte, Dudek lässt sich nicht überlisten und pariert. Liverpool hat das Wunder perfekt gemacht!
"Liverpool hat gezeigt, dass Wunder existieren."
"Das ist ein wahnsinniger Moment. Diesen Abend werde ich niemals vergessen", schwärmt Kapitän Gerrard. "Das ist die schönste Nacht meines Lebens", erklärt Benitez, bevor er mit Gedanken an seine Familie zurückrudert: "Okay, ich habe eine Frau und zwei wunderbare Kinder, da kann ich schlecht behaupten, dass sei die schönste Nacht meines Lebens."
"Liverpool hat gezeigt, dass Wunder existieren. Diese Partie wird ewig bleiben", erklärt Diego Maradona, der das Spiel im Stadion verfolgte.
Es ist der erste Henkelpott für die Reds seit 21 Jahren. Tags drauf herrscht der Ausnahmezustand am River Mersey. In einem Doppeldeckerbus fahren die Stars mit den Henkelpott durch die Stadt, über eine Millionen Menschen pilgern auf die Straßen, um ihren Helden nahe zu sein. Den Pubs geht das Bier aus. "Diese Fans haben uns so sehr angefeuert, da ist es großartig, dass wir ihnen den Cup zurückbringen", jubelt Gerrard.
Und Milan? Zwei Jahre später bekommen die Rossoneri ihre Revanche. Erneut heißt das Endspiel um den Henkelpott Milan gegen Liverpool. Erneut gehen die Italiener als Favorit in das Duell. Filippo Inzaghi schnürt den Doppelpack, Dirk Kuijt markiert in der 89. Minute den Anschlusstreffer, ein sensationelles Comeback bleibt diesmal jedoch aus. Milan feiert seinen siebten und bis heute letzten Triumph im wichtigsten aller Vereinswettbewerbe.
Weitere Champions League-News lesen: