Halstenberg-Deal geplatzt: Der BVB zwischen Realismus und Idealismus
Von Oscar Nolte
Marcel Halstenberg wird laut aktuellen Berichten doch nicht zum BVB wechseln. Ob Sportdirektor Michael Zorc noch einen Außenverteidiger verpflichtet, ist derzeit offen. Personell ist die Borussia ausreichend besetzt. Doch reicht das Personal auch qualitativ?
Nein, zumindest nicht nach aktuellem Stand. Der rechnet allerdings auch noch nicht die verletzten bzw. noch nicht vollkommen einsatzbereiten Emre Can, Raphael Guerreiro, Thomas Meunier und Mateu Morey ein. Bislang musste Cheftrainer Marco Rose auf Nico Schulz und Felix Passlack setzen. Das klappte nur mäßig.
Wenn ein neuer Außenverteidiger verpflichtet wird, dann wohl auf links. Auf der rechten Schiene steht mit Thomas Meunier ein Spieler mit langjähriger Erfahrung auf höchstem Niveau zur Verfügung; der Belgier spielte zwar eine schaurige Debüt-Saison für den BVB, hat aber ganz viel Luft nach oben. Mit Felix Passlack und Emre Can stehen zwei valide Alternativen bereit.
Auf Sicht würde ein neuer Rechtsverteidiger auch die Kapazitäten für Mateu Morey verdichten; der Spanier könnte langfristig ein brutal guter Rechtsverteidiger werden, verletzte sich aber gegen Ende der letzten Saison so schwer, dass er nun die gesamte Spielzeit aussetzen muss.
Es ist nicht das Gelbe vom Ei, was der BVB aktuell auf hinten rechts hat, doch mit Blick auf die anlaufende Saison, muss das genügen. Das liegt auch daran, dass der Schuh auf der anderen Seite entschieden heftiger drückt. Raphael Guerreiro ist, sofern fit, gesetzt, weist aber defensive Mängel auf. Mit Nico Schulz hat der BVB eine Alternative, die in den vergangenen Wochen einen Sprung nach vorne gemacht hat, aber weiterhin nicht über das nötige Niveau verfügt.
Zusammengefasst: in der aktuellen Besetzung muss der BVB auf Leistungssprünge (Meunier, Can) und ausbleibendes Verletzungspech hoffen. Nur dann kann die Borussia die nationale, wie auch internationale Spitze angreifen. In normalen Zeiten wäre das der Führungsetage zu wenig, das ist ein offenes Geheimnis. Finanziell durch die Corona-Pandemie limitiert, muss der BVB allerdings auch realistisch arbeiten und planen. Die wirtschaftlichen Einbuße haben die Vereinsverantwortlichen hierzulande zwangsweise vorsichtig werden lassen.
Daran dürfte auch der Halstenberg-Deal gescheitert sein. Verfolgt man die Berichterstattung in der Transfer-Saga um den Nationalspieler, hing der Transfer stets an zu hohen Ablöseforderungen von RB Leipzig. Um die zehn Millionen Euro sollen die Sachsen für Halstenberg fordern. Das ist marktwertgerecht, für den BVB allerdings in Corona-Zeiten doch ein Risiko, zumal der Vertrag des 29-Jährigen nach der Saison ausläuft. Wartet die Borussia ein Jahr, könnte sie Halstenberg ablösefrei verpflichten.
Halstenberg? Lazaro? Der BVB sucht einen Außenverteidiger
Der BVB bewegt sich also zwischen Risiken, Idealismus und Realismus. Michael Zorc beobachtet den Markt und hofft mit Blick auf den Transferfensterschluss noch ein Schnäppchen zu schlagen. Viele deutsche Klubs haben auf dem Transfermarkt die Füße still gehalten und bis in die letzte Woche gewartet, damit abgebende Vereine die Ablösen für ihre Verkaufskandidaten gezwungenermaßen noch senken. Auf Einnahmen sind in Corona-Zeiten nun einmal alle Vereine angewiesen.
Noch ist nicht bekannt, woran der Halstenberg-Deal gescheitert ist. An der Ablöseforderung aus Leipzig? In dem Fall könnte der BVB darauf hoffen, dass die Sachsen noch einknicken und Halstenberg für weniger Geld ziehen lassen, um überhaupt noch eine Ablöse zu generieren. Oder hat Michael Zorc einen anderen Kandidaten im Blick? Der Name Valentino Lazaro geisterte zuletzt durch die Dortmunder Gerüchteküche. Der Österreicher ist ein Liebling von Cheftrainer Marco Rose, allerdings auf der rechten Bahn zuhause. Möglicherweise fischt Zorc auch noch ein Ass aus dem Ärmel, das bisher noch niemand auf dem Zettel hat.
Diejenigen, die es mit der Borussia halten, müssen sich also noch gedulden und sich möglicherweise mit dem Szenario anfreunden, dass kein weiterer Außenverteidiger verpflichtet wird. In dem Fall könnte der BVB das Risiko mit dem aktuellen Personal eingehen und auf einen ablösefreien Transfer von Marcel Halstenberg im kommenden Sommer hoffen. Außerdem könnten sich die Verkaufskandidaten (Schulz, Passlack, Meunier, Wolf) bis dahin ins Schaufenster stellen und in einem Jahr noch Geld in die schwarz-gelben Kassen spülen.
Das Transferfenster in Deutschland schließt am kommenden Dienstag. Bis dahin wird Michael Zorc die Augen nach einem Deal offen halten, bei dem die wirtschaftlichen Faktoren im Einklang mit einer vernünftigen Transferpolitik stehen.
Der BVB bewegt sich dieser Tage zwischen Realismus und Idealismus. Das ist das Ergebnis der Corona-Pandemie, die alle deutschen Klubs hart getroffen hat. Unter diesem Aspekt wäre es für den BVB beileibe kein Beinbruch, wenn kein weiterer Außenverteidiger verpflichtet wird. So schwierig das auch im Hinblick auf die Titelhoffnungen der Schwarz-Gelben wäre.