Der Status quo beim BVB: Irgendwo zwischen Frust, Achtungserfolg und Norwegen

Der BVB jubelt - geht aber auch auf dem Zahnfleisch
Der BVB jubelt - geht aber auch auf dem Zahnfleisch / Stuart Franklin/GettyImages
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Der BVB geht sportlich wie personell auf dem Zahnfleisch. Trotz guter Resultate ist in Dortmund die Frustration zu spüren. Es ist eine komplizierte Saison für die Borussia, die sich aktuell irgendwo zwischen Krise, Titelkampf und Norwegen befindet. Eine Standortbestimmung.


Dass der BVB vor einer schwierigen Saison steht, war den Verantwortlichen bereits im Sommer klar. Schon die Vorbereitung stand unter keinem guten Stern: aufgrund von Verletzungen und EM-Sonderurlaub konnte Marco Rose kaum mit seinen neuen Stars arbeiten. Rose, der keine Ausreden scheut, befand sich trotzdem von Beginn an im Angriffsmodus.

Und die Ergebnisse waren zu Saisonbeginn überraschend gut. Trotz unsäglicher Verletzungsprobleme marschierte der BVB in der Liga, im DFB-Pokal und auch in der Champions League gab die Borussia eine gute Figur ab. Die Resultate stimmten, auch wenn in jedem Spiel deutlich wurde, dass noch viel Feinarbeit vor Marco Rose und seiner neuen Mannschaft liegt.

Der Einbruch kam im Oktober, in Form der Hochdrucklokomotive Ajax Amsterdam, die den BVB in der Champions League mit 4:0 überrollte. Es wurde deutlich, dass die Schwarz-Gelben einfach nicht im Saft sind. Wie auch? Marco Rose muss seit Wochen improvisieren und basteln, um eine einsatzfähige Mannschaft auf den Platz bringen zu können, die Spiele gewinnt. Der Ausfall von Lebensversicherung Erling Haaland war schließlich der Knockout: der BVB geht endgültig auf dem Zahnfleisch.

Irres Verletzungspech beim BVB: Die Wurzel der Frustration

Und nun befindet sich die Borussia in der seit Monaten erwarteten Formkrise. Es brennt personell an allen Ecken und Enden: seit Wochen steht Marco Rose kein gelernter Linksverteidiger zur Verfügung, Jude Bellingham muss sich alle paar Tage durch 90 Minuten quälen und die Offensive lahmt. Raphael Guerreiro, Giovanni Reyna, Erling Haaland, Mo Dahoud, Marius Wolf, Emre Can, Nico Schulz, Mateu Morey - die Dortmunder Ausfallliste spart nicht an Prominenz. Dass der BVB überhaupt noch in allen drei Wettbewerben absolut im Rennen ist, ist an sich schon bemerkenswert wie verwunderlich.

Erst mit dem Ausfall von Erling Haaland, der in diesem Jahr wohl kein Spiel mehr absolvieren wird, beginnt sich das Verletzungspech aber auch in den Ergebnissen widerzuspiegeln. Es gibt aktuell keinen Ersatz für den Norweger; Donyell Malen ist noch nicht der Spieler, der dem BVB Spiele gewinnen kann, Steffen Tigges fehlt die Qualität und Youssoufa Moukoko die Fitness und die Erfahrung.

Den Frust, der in Dortmund herrscht, verbalisierte Kapitän Marco Reus nach der verdienten Niederlage am Samstag gegen RB Leipzig. Einen Vorwurf kann man beim BVB aktuell niemandem so recht machen, die Stimmung droht trotzdem zu kippen. Das ist verständlich, denn ungeachtet der Umstände sieht sich die Borussia ihrem Selbstverständnis gegenüber verpflichtet, ganz oben mitzuspielen.

Erling Haaland
Erling Haaland fällt noch bis Jahresende aus / Alex Grimm/GettyImages

Trotz Platz Zwei in der Bundesliga wird das in der restlichen Saison aber schwierig. Gefühlt ist der BVB von einer Meisterschaft so weit entfernt wie von Norwegen. Das liegt an den schwerwiegenden Umständen, aber auch an der Qualität, die der FC Bayern in dieser Spielzeit auf das Tablett bringt. Der Rekordmeister hat einige überraschende Punktverluste hinter sich, die werden in München aber Ausnahmen bleiben.

Beim BVB werden diese Punktverluste eingeplant. Es ist ein Übergangsjahr in Dortmund, das darf nicht vergessen werden. Marco Rose ist ein Glücksgriff für den Verein, darüber sind sich alle Schwarz-Gelben einig. Der 45-Jährige braucht seine Debütsaison jedoch, um seine Systeme und Philosophien zu implementieren. Im Kontext der Verletzungsmisere beim BVB erfordert die Umstellung auf den Rose-Fußball Zeit. Das Konstrukt lässt erahnen, dass Schwarz-Gelb unter Rose außerordentlich erfolgreichen Fußball spielen wird. Ein Maßstab kann das in dieser Saison noch nicht sein.

Insofern ist die bisherige Spielzeit ein Achtungserfolg, auf den die Protagonisten stolz sein können. Wohlfühlstimmung dürfte sich in Dortmund so schnell aber nicht einstellen. Der Frust, der beim BVB zu spüren ist, ist auf der einen Seite positiv zu bewerten, da er zeigt, wie hungrig die Mannschaft ist. Die Mentalitätsfrage wird in dieser Saison niemand stellen. Auf der anderen Seite zeigt dieser Frust jedoch auch, dass die Borussia auf dem Zahnfleisch geht und das Fortune bislang mit Abwesenheit glänzt. Der BVB will, kann aber nicht - das ist harter Tobak im Wettkampfsport.

Sehnsucht nach der Schale beim BVB: Die Uhren ticken

Dass Borussia Dortmund diese Saison kaum als Übergangsjahr akzeptieren kann, liegt an dem Zeitdruck, dem der BVB unterworfen ist. Mit Mats Hummels, Marco Reus und Axel Witsel befinden sich drei tragende Säulen der Mannschaft im Spätherbst ihrer Karriere. Vereinsikone Reus wartet noch auf die erste Meisterschaft mit seiner Borussia - für den Spielmacher steht die Uhr auf fünf vor zwölf, Übergangsjahr und Verletzungspech hin oder her.

Außerdem scheint die Mannschaft zu spüren, dass in dieser Konstellation ganz viel möglich ist. Die Mischung im Kader stimmt, die Qualität sowieso. Das Zünglein an der Waage ist Erling Haaland, der den BVB endlich auf das Niveau heben kann, auf dem sie in den goldenen Jahren vor einer Dekade waren. Doch auch in Norwegen steht die Uhr auf fünf vor zwölf: Haaland hat eine Ausstiegsklausel, die im Sommer greift. Wenn er den nächsten Schritt gehen möchte, ist der BVB machtlos. Es könnte also die letzte Saison sein, die Borussia Dortmund mit Haaland hat.

Und so bauen sich Frust und das Gefühl einer Krise in Dortmund auf. Trotz guter Resultate und noch besserer Ansätze. Durch das Verletzungspech scheint der Mannschaft aktuell die Chance auf einen letzten großen Tanz genommen zu werden. Kein Wunder, dass die Verantwortlichen alle Hebel in Gang setzen, um Erling Haaland in Dortmund zu halten. Der Norweger ist die Speerspitze dieser Mannschaft.

Perspektivisch wächst in Dortmund mit Donyell Malen bereits ein Ersatz für den Norweger heran. Der Niederländer hat unfassbare Anlagen und es wäre doch sehr verwunderlich, wenn der BVB in den nächsten Jahren nicht ganz viel Spaß an Malen haben wird. Wirklich zu ersetzen ist Erling Haaland aber nicht - das ist ein offenes Geheimnis.

Wo also steht der BVB? Zwischen Norwegen und Frust, zwischen Achtungserfolgen und Verletzungspech. Vielleicht aber auch am Rand der Erkenntnis, dass dieses Jahr doch nicht mehr sein kann, als ein Übergangsjahr. Das wird man beim BVB nicht gerne hören und das ist gut so. Der Trainer, die Mannschaft - Schwarz und Gelb ist im Angriffsmodus. Das ist mit Blick auf die vergangenen Jahre ein frischer und würziger Wind, der in Dortmund Einzug gehalten hat und die Sorgen und den Frust, die beim BVB aktuell die Runde machen, bald schon verwehen könnte.