An Julian Brandt scheiden sich die Geister: Sollte der BVB an ihm festhalten?
Von Oscar Nolte, Jan Kupitz
Julian Brandt ist zweifelsfrei einer der talentiertesten Fußballer des Landes. Seine Qualitäten bringt er in dieser Saison beim BVB aber kaum auf den Platz. Nach nur zwei Jahren könnte der Nationalspieler in Dortmund auf's Abstellgleis geraten sein. Brandt scheidet die schwarz-gelben Geister und ist - mit Blick auf das nahende Saisonende - eine heiß diskutierte Personalie. Sollte der BVB über den Sommer hinaus an ihm festhalten? Die 90min-Redaktion ist gespaltener Meinung.
Pro BVB-Verbleib von Julian Brandt: Unbegrenztes Potenzial und mediale Hexenjagd!
Keine Frage, Julian Brandt spielt eine Saison zum Vergessen. Genauso wie Thomas Meunier, Emre Can, Thorgan Hazard - sprich: wie so viele BVB-Profis in diesem Jahr. Der Nationalspieler will die Saison möglichst schnell abhaken und wieder in die Spur finden. Allein: kann er das noch in Dortmund?
Schon die Tatsache, dass Brandt medial seit Monaten beim BVB abgeschrieben wird, zeugt von der völlig fehlgeleiteten Erwartungshaltung der Öffentlichkeit an Brandt. Denn die Geschichte der Hexenjagd auf den Blondschopf startete bereits in der Vorbereitung der laufenden Saison, als Brandt noch nicht bei 100 Prozent war. Aus einem kurzen Formloch wurde in den Gazetten schnell ein Drama in zwei Akten gemacht: Brandt funktioniert nicht mehr und muss am Saisonende weg.
Vergessen wird mir dabei die Tatsache, dass Brandt vereinsintern zum Spieler der Vorsaison gewählt wurde und nahezu unbegrenztes Potenzial mitbringt. In seiner ersten Spielzeit in schwarz und gelb hatte der Nationalspieler Probleme damit, seine Position zu finden, lieferte dann jedoch im Mittelfeld ab und zeigte, wie wichtig er für den BVB werden kann. Auf eine hervorragende Debütsaison folgt nun eine Spielzeit mit vielen Tiefen. Ich möchte jedoch betonen, dass dieses Pandemie-Jahr mit Trainerentlassung und vielen unglücklichen individuellen Geschichten in Dortmund ohnehin unter einem schwierigen Stern stand und weiterhin steht. Kaum ein Spieler der Borussia spielt in dieser Saison konstant - sowohl die Leistung, als auch die Position betreffend.
Unter Marco Rose soll und wird sich diese Konstanz wieder einstellen. Die Herausforderung für den neuen Cheftrainer und für Julian Brandt wird es gewiss sein, das richtige System zu finden. Solange der Nationalspieler aber im Zentrum ran darf, mache ich mir da keine Gedanken. Und über einen Verkauf im Sommer schon gar nicht! Ich meine: Marco Reus biegt aktuell auf die Ziellinie seiner Karriere ein und wer wäre in Dortmund aktuell geeigneter für seine Nachfolge, als der spielerisch so starke Brandt?
Letzten Endes gilt zwar auch in Dortmund die Leistungskultur, eine Grundlage, um Brandt abzuschreiben, sehe ich jedoch (noch) nicht. Beispiel Mo Dahoud: der ehemalige Gladbacher ist nicht mehr aus der Mannschaft wegzudenken und brilliert, weil der BVB ihm die Zeit gegeben hat, zu wachsen. Wie Dahoud ist auch Brandt ein Intuitionsspieler, dessen Aktionen viel über Automatismen und Selbstvertrauen funktionieren. Dieses Selbstvertrauen muss Rose Brandt wieder einimpfen - dann wird es beim 24-Jährigen auch wieder laufen, genauso wie es bei Dahoud der Fall ist.
Ich lege mich fest: in Top-Form ist Julian Brandt ein absoluter Gewinn für den BVB und ihm gehört klar die Zukunft. Aufgabe der Mannschaft und des Trainers ist es nun, Brandt wieder in genau diese Form zu bringen. Mit seinem Potenzial, seiner Intelligenz und seiner Mentalität würde es mich schwer wundern, wenn Julian Brandt aus seinem Formloch nicht wieder herausklettern kann.
(Oscar Nolte)
Contra BVB-Verbleib von Julian Brandt: Er hat seine Chancen nicht genutzt
Am Talent des Julian Brandt gibt es keine Zweifel. Doch was bringt all das Talent, wenn der Spieler es einfach nicht abruft?
Im Fall von Brandt und dem BVB scheint es auf ein klassisches "Es soll einfach nicht sein" hinauszulaufen. Seine phlegmatische Art mag im beschaulichen Leverkusen toleriert werden, für einen Verein wie Borussia Dortmund ist seine Körpersprache allerdings verheerend. Die Fans fordern Vollgasfußball und Leidenschaft - da passt Brandt, der den Kopf nach seinem ersten Ballverlust hängen lässt, einfach nicht hin. Es fehlt ihm der letzte Biss, den es bei einem Topklub wie der Borussia allerdings braucht.
Zudem gibt es beim BVB ein großes Problem: Wo soll Brandt spielen? Die Zehn ist mit Marco Reus besetzt, dahinter lauert mit Gio Reyna ein Talent, das sogar noch größere Fähigkeiten als der Blondschopf besitzt. Und auf den Außenbahnen - das hat die Vergangenheit gezeigt - ist Brandt schlichtweg verschenkt.
Einen Vergleich mit Mo Dahoud finde ich auch nur bedingt passend: Denn anders als Dahoud, der sich in der Vergangenheit fast nie beweisen durfte, hat Brandt in Dortmund haufenweise Chancen bekommen, die er allesamt nicht genutzt hat. Beweis gefällig?
Allein in dieser Saison stand Brandt in der Bundesliga 16-mal in der Startelf. Und damit häufiger als Dahoud in den letzten beiden Spielzeiten (insgesamt nur 13-mal) zusammen! Dahoud hat in der Vergangenheit selten die Chance bekommen - jetzt, wo er sie bekommen hat, zeigt er, was in ihm steckt. Brandt enttäuscht trotz ausreichender Spielzeit auf ganzer Linie, sein Formloch ist mittlerweile ein Formkrater.
Ich mag Julian Brandt und ich schätze ihn auch als Fußballer. Doch beim BVB gibt es für ihn keinen Platz. Gerade in Pandemiezeiten kann man nicht darauf hoffen, dass er irgendwann in der Zukunft doch noch zündet - stattdessen sollte man das Geld einsacken, sich eingestehen, dass es für beide Seiten einfach nicht gepasst hat, und nach vorne schauen.
(Jan Kupitz)