Die Saison unter der Lupe: Was man dem BVB vorwerfen kann - und was nicht

Die Saison ist für den BVB gelaufen
Die Saison ist für den BVB gelaufen / Alex Grimm/GettyImages
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Für den BVB ist die Saison nach der Pleite gegen RB Leipzig sportlich gelaufen. In Dortmund wird das Zeugnis für die Spielzeit deutlich negativ ausfallen, die Kritik, die auf die Borussia einprasselt, ist mitunter aber viel zu universell.

90min lässt die Dortmunder Saison Revue passieren und versucht die Kritik an den Westfalen aufzubröseln. Was kann man dem BVB tatsächlich vorwerfen - und was nicht?

1. Die Bundesliga

Marius Wolf
Der BVB spielt eine gute Bundesliga-Saison / Dean Mouhtaropoulos/GettyImages

Kein Titel, nicht einmal ein spannender Endspurt: der BVB ist seinen Erwartungen in dieser Saison weit zurückgeblieben. Das darf aber nicht darüber hinweg täuschen, dass die Mannschaft eine sehr gute Bundesliga-Saison spielt.

Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke hat zuletzt noch einmal das absurde Gefälle im Gehaltsgefüge betont: der Unterschied zwischen dem BVB und dem FC Bayern ist mittlerweile größer als der zwischen dem BVB und Greuther Fürth. Um mit den Bayern überhaupt mitzuhalten, braucht es daher eine absolute Sahnesaison.

Die Spielzeit begann allerdings unter äußerst schweren Vorzeichen. Durch die EM im Sommer hatte der neue Cheftrainer Marco Rose nur eine äußerst überschaubare Vorbereitungszeit mit seinen neuen Stars. Zudem plagte den BVB schon während der Vorbereitung massives Verletzungspech. Rose blieben nur ganz wenige Einheiten, die er mit voller Kappelle absolvieren konnte. Klar ist: das reicht nicht, um die neuen Systeme und Abläufe des Trainers auch nur ansatzweise zu verinnerlichen.

Zudem - das zeigte sich erst im Saisonverlauf - wurden Fehler in der Kaderplanung begangen, die es Marco Rose und der Mannschaft zusätzlich schwer machten. Das Verletzungspech begleitete den BVB durch die gesamte Saison, mit Axel Witsel gibt es nur einen Profi, der an jedem Bundesliga-Spieltag im Kader stehen konnte. Nur ganz selten durfte Rose mit einer Wunsch-Aufstellung arbeiten.

Trotz dieser Widrigkeiten konnte der BVB über die gesamte Spielzeit den zweiten Platz relativ mühelos verteidigen. Die Bundesliga ist insgesamt stärker geworden, Vereine aus dem etatmäßigen Mittelfeld haben deutliche Sprünge nach vorne gemacht. Dass der BVB die Liga ohne den FC Bayern komplett dominieren würde, ist eine Leistung, die in der ganzen berechtigten Kritik deutlich zu kurz kommt! Viel eher lässt sich hier begründen, warum die Verantwortlichen noch immer an Marco Rose und seinem Team festhalten: wenn Rose und Co. so eine Bundesliga-Saison unter widrigsten Bedingungen so gestalten können, was wäre dann erst mit einem optimierten Kader und etwas mehr Spielglück möglich?

2. Die Pokalwettbewerbe

Mats Hummels
In den entscheidenden Momenten versagte die Mannschaft / Stuart Franklin/GettyImages

Autsch. Mehr bleibt über die Pokal-Wettbewerbe kaum zu sagen. Das gilt vor allem für den DFB-Pokal: mit dem Ausscheiden des FC Bayern und zahlreicher anderer Top-Favoriten war der Weg zum Pott für den BVB eigentlich geebnet. Beim FC St. Pauli lieferte die Mannschaft dann aber eine dieser unerklärlichen Leistungen ab, die auf diesem Niveau schlicht nicht ausreichen. Nicht unverdient gewannen die Hamburger und kegelten den BVB aus dem sicher geglaubten Titelrennen. Das muss sich vor allem die Mannschaft ankreiden lassen: Haaland und Co. sprechen gerne von Titeln und das einzig Titel in ihren individuellen Karrieren von Bedeutung sind; dafür müssen sie aber auch bereit sein, auch mal gegen einen Zweitligisten zu bluten.

Ähnliches gilt für die Europa League. Gegen Glasgow Rangers ließ sich der BVB komplett herspielen und schlug die Borussia verdient in Hin- und Rückspiel. Die Mannschaft von Cheftrainer Marco Rose machte in den beiden Spielen den Eindruck, als wäre die Europa League, als wären die Rangers unter ihrer Würde. Die Quittung dafür gab es postwendend.

Einen ähnlichen Vorwurf kann man der Mannschaft im Finale der Champions League-Gruppenphase gegen Sporting machen. Hier ist aber auch hervorzuheben, dass der überraschende Führungstreffer der Portugiesen einzig auf einen individuellen Fehler von Nico Schulz zurückzuführen ist. Dass Schulz überhaupt spielen musste, war dem massiven Verletzungspech geschuldet. Da kannst du als Trainer oder Mannschaft dann auch nicht mehr viel ausrichten. Trotzdem: über sich hinausgewachsen ist die Mannschaft in den entscheidenden Spielen nicht.
Aber noch ein Nachtrag zur Champions League: im Rückspiel gegen Ajax zeigte der BVB eine gute Leistung, bis sich Schiedsrichter Mike Dean einen Black-out leistete und Mats Hummels völlig unberechtigt vom Platz schickte. Dass Unparteiische Spiele, in denen es um so viel (Geld) geht, noch so maßgeblich entscheiden können, sollte mit all den Technologien eigentlich nicht mehr möglich sein.
Fazit ist aber, dass der BVB mit etwas mehr Spielglück wohl aber mühelos ins Achtelfinale eingezogen wäre. Die Kritik am Aus in der Königsklasse muss daher sehr vorsichtig formuliert werden - und ist doch so ausschlaggebend für die Bewertung der gesamten Saison.

3. Die Mannschaft

Marco Reus, Jude Bellingham
Der BVB trat viel zu selten als Einheit auf / Alex Grimm/GettyImages

Der Mannschaft waren die Widrigkeiten dieser Spielzeit schon eher anzumerken. Der Glaube an die eigene Einheit, an eine erfolgreiche Saison, ging mit dem Aus in der Champions League und im DFB-Pokal komplett verloren. Von da an konnte man in froher Regelmäßigkeit beobachten, wie die Mannschaft nach Rückschlägen völlig auseinanderbrach und mit hängenden Köpfen über den Rasen schlich.

Und da liegt der Hase begraben: diese Mannschaft ist keine Einheit. Das gilt nicht für alle Spieler, aber für ausreichend wichtige Elemente, die das Team spalten. Einem Erling Haaland merkt man an, dass er für den Erfolg spielt: primär für seinen eigenen. Und zu lange ist schon klar, dass er die Mannschaft am Saisonende verlassen wird. Von solch einem Profi dann auch noch abhängig zu sein, ist ein worst-case-Szenario. Ohnehin gibt es beim BVB zu viele individuelle Baustellen - und über die ganze Saison gesehen zu viele individuelle Fehler.

Das sind die zentralen Aufgaben für die Verantwortlichen im Sommer: die faulen Äpfel aussortieren und eine Mannschaft zusammenstellen, bei der der Fokus vielleicht weniger auf dem Marktwert, als auf zwischenmenschlicher und systematischer Passgenauigkeit liegt. Marco Rose ist fraglos ein Trainer der Sorte, der eine richtig zusammengestellte Mannschaft zusammenschweißen kann. Dafür braucht es aber das richtige Personal.

Dass die Mannschaft in den entscheidenden Momenten versagten, ist allein ihr anzukreiden. Ab einem gewissen Punkt hat ein Trainer da auch keine Möglichkeiten mehr einzugreifen; zumal das Verletzungspech am ganzen Verein schlauchte. Trotzdem ist Kritik an der Einstellung der Mannschaft in dieser Saison mehr als berechtigt. Das gab es beim BVB in der Form lange nicht mehr (und das mag auch an den fehlenden Zuschauern liegen.)

4. Das Trainerteam

Marco Rose
Eine Trainerdiskussion ist beim BVB nicht notwendig / Stuart Franklin/GettyImages

Fakt ist: wirklich viele Vorwürfe kann man Marco Rose, Rene Maric, Alexander Zickler und Co. nicht machen. Viel eher ist das Trainerteam der Pechvogel dieser Saison.

Unter widrigsten Bedingungen gelang es Cheftrainer Marco Rose Woche für Woche eine Mannschaft auf den Rasen zu schicken, die wettbewerbsfähig ist. Dass es noch keine Konstanz in seiner taktischen Handschrift gibt, lässt sich mit dem irren Verletzungspech begründen: Rose konnte kaum eimal die gleiche Startelf in zwei Spielen in Folge aufbieten.

Auch medial verkaufte sich Rose stets charmant, selbstkritisch und fair. Dabei nahm er seine Mannschaft in den richtigen Momenten in Schutz, konnte den Finger aber genauso gut in die Wunde legen.

Es ist schlichtweg ein zu einfaches Narrativ, den Trainer für die Erfolglosigkeit und Probleme in dieser Saison verantwortlich zu machen. Rose macht einen guten Job - wirklich bewerten kann man seine Arbeit aber erst, wenn ihm eine vernünftig zusammengestellte Mannschaft an die Seite gestellt wird, mit der er unter halbwegs normalen Bedingungen arbeiten kann.

Meine Meinung: unter den thematisierten Bedingungen hätte Marco Rose in dieser Saison wenig besser machen können. Kritik an ihm ist berechtigt, eine Trainer-Diskussion darf es schlichtweg aber nicht geben.

5. Die Bosse

Michael Zorc
Kein schöner Abschied für Michael Zorc / Stuart Franklin/GettyImages

Hier muss nämlich der Hammer fallen. Die Kaderzusammenstellung ist schlichtweg misslungen. Cheftrainer Marco Rose konnten weder ausreichend leistungsfähige Außenverteidiger, noch schnelle und dribbelstarke Flügelspieler zur Seite gestellt werden. Zu dem aufgeblähten Mittelfeld gesellten sich viel zu viele Spieler, die ihre Leistung in dieser Saison nicht abrufen konnten.

Auf die vielen Verletzungsausfälle reagierten die Verantwortlichen im Winter nicht und setzten darauf, dass die zuvor verletzten Rückkehrer den Bock umstoßen würden. Während Spieler wie Gio Reyna und Raphael Guerreiro nach ihren Zwangspausen aber einfach noch Zeit brauchen, um wieder in die Spur zu finden, wurden Leistungsträger wie Erling Haaland, Mats Hummels oder Marco Reus immer wieder von kleinen Blessuren oder Krankheiten ausgebremst.

Es ist schade, doch Sportdirektor Michael Zorc verlässt den BVB mit einer für seine Verhältnisse schwachen Bilanz aus seinem letzten Quartal. Diesen Scherbenhaufen müssen im Sommer die neuen Bosse, Sebastian Kehl, Edin Terzic und Co., zusammenfegen und wieder eine schlagkräftige Truppe zusammenstellen.

6. Fazit

Die Kritik am BVB fällt viel zu universell aus. Die Borussia spielt eine gute Bundesliga-Saison, in der aufgrund der Umstände schlichtweg nicht mehr möglich ist. Für diese Spielzeit sollte die Borussia eher gelobt, denn kritisiert werden. Hier zeigt sich wieder einmal die Begierde der deutschen Fußballlandschaft, dass der FC Bayern endlich vom Thron gestoßen wird. Doch auch wenn das Argument vollkommen ausgelutscht ist: bei dieser finanziellen Ungleichheit darf einfach nicht erwartet werden, dass der BVB an der Spitze konkurrenzfähig ist.

Viel eher glaube ich: mit etwas mehr Spielglück in der Champions League, würden wir heute über eine gute Dortmunder Saison sprechen. In der entscheidenden Phase der Saison kamen Verletzungspech, Spielpech und externe Umstände (Mike Dean) zusammen und kegelten den BVB aus der Königsklasse. Dort wäre die Borussia im Achtelfinale auf Manchester City getroffen; ein aus gegen die Sky Blues hätte der Borussia niemand vorwerfen können. Ein Weiterkommen in der Champions League hätte sicher auch für mehr Selbstbewusstsein und Konzentration im DFB-Pokal geführt. Dann hätte der BVB heute vielleicht beste Chancen auf den Pokalsieg.

Hätte, hätte, Fahrradkette. Und doch glaube ich, dass der BVB in der Gesamtbewertung der Saison zu schlecht gemacht wird. Für mich liegt der Hase in der Kaderplanung begraben. Mit einer gut zusammengestellten Mannschaft ist beim BVB wieder viel drin. Und Marco Rose ist dafür sicher der richtige Mann. Jetzt kommt es vor allem auf Sebastian Kehl an, die richtigen Schlüsse zu ziehen und den BVB zurück in die Spur zu bringen.


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