Die Suche nach der deutschen Identität: Auch die Bundesliga hat ihr Sexappeal verloren
Von Oscar Nolte
Die deutsche Nationalmannschaft hat in den vergangenen fünf Jahren nicht nur ihre sportliche Vormachtstellung, sondern auch ihre Identität verloren. Ein Trend, der sich auch in der Bundesliga abzeichnet. Von Sexappeal kann im deutschen Oberhaus nicht mehr die Rede sein. Für dieses Problem müssen die Verantwortlichen Lösungen finden.
Blicken wir nach Italien. Der italienische Fußball war vor einigen Jahren tot. Die Squadra Azzurra schied bei der WM 2014 in der Gruppenphase aus, qualifizierte sich anschließend nicht einmal für die Weltmeisterschaft vier Jahre später in Russland. Die Serie A hatte sich durch Wett- und Finanzskandale zu verbrannter Erde gewirtschaftet, die einstigen Giganten Milan und Inter waren nur noch ein Schatten ihrer Selbst; die Dominanz von Serienmeister Juventus war unangefochten wie vorhersehbar. Qualität, Identität, ein gesunder Wettbewerb: das war in Italien lange Zeit Mangelware. Ein Trend, der aktuell auch in Deutschland Einzug hält.
Der italienische Fußball hat sich mittlerweile berappelt. Das liegt zum Einen an Umstrukturierungen im Nachwuchsbereich und zum Anderen an finanzkräftigen Investoren, die die Liga zumindest sportlich wieder interessant gemacht haben. Das muss nicht der Weg für den deutschen Fußball sein, doch klar ist: es braucht Lösungen.
Hansi Flick und die Mission Identitätsfindung
Auftritt Hansi Flick. Der unscheinbar wirkende Trainer hat in den vergangenen anderthalb Jahren bei seiner ersten Station als Cheftrainer beim FC Bayern Unglaubliches geleistet und eine scheintote Mannschaft wieder zum Leben erweckt. Diese Entwicklung erhofft sich nun auch der DFB von seinem neuen Bundestrainer; Flick soll den bitter nötigen Umbau einleiten und den jungen, vielversprechenden Spielern neues Leben einhauchen.
Zeitgleich braucht "Die Mannschaft" ein neues PR-Konzept. Die deutsche Nationalmannschaft muss wieder sexy, muss wieder authentisch sein. Die Entwicklungen beim DFB deuten nicht darauf hin, dass dies zeitnah passieren wird. Die Nachwuchsarbeit ist weiterhin kaum zielführend, die Schlammschlachten in der Verbands-Führungsetage haben die Distanzierung der Vereine und der Fans vom nationalen Verband nur zementiert.
Die Lösung muss und kann daher nur Hansi Flick heißen. Denn, das kennen wir vom Fußball: Erfolg zieht die Menschen an wie Honig die Bienen. Die Identitätsfindung muss aus der Mannschaft kommen, nicht vom Verein - dieser Zug scheint aktuell nämlich abgefahren zu sein.
Querschnitt der Bundesliga: Blutleer an der Spitze
Vorhang auf für die Bundesliga. Dort wird - und das muss man den Vereinen zugute halten - gesund gewirtschaftet. Auf Sicht hätte sich diese Strategie ausgezahlt, das zeigt die Panik, die bei den europäischen Schwergewichten angesichts der wachsenden Schuldenberge (Stichwort: Superleague) entstanden ist. Gut besuchte Stadien, eine insgesamt stimmige Fankultur und ein guter Ruf bei jungen Spielern: die Bundesliga hat zumindest das Potential, wieder ganz groß zu werden.
Das war sie zuletzt vor etwa zehn Jahren. Damals rückte der BVB dem FC Bayern auf die Pelle und verzückte den europäischen Fußball mit neuen Ideen und einer verführerischen Philosophie. Die Rechnung der Bayern, diese Entwicklung durch die finanziellen Vorteile zu zerschießen, ist aufgegangen. Die Kehrseite der Medaille ist allerdings, dass wir seitdem eine an der Spitze stinklangweilige Liga haben, die sich abseits des FC Bayern einfach nicht zu finden scheint. Deutsche Finals in der Champions League sind in weite Ferne gerückt. Wobei deutsche Beteiligungen im Finale der Königsklasse mittlerweile ein Standard sind. Problem nur: nichts davon hat mit der Bundesliga zu tun.
Zugegeben: die Corona-Pandemie hat der Bundesliga nicht gut getan. Plötzlich waren die Stadien leer und die zuvor sorgfältig und durch Fleiß gefüllten Geldbeutel ebenso. Spieler, die die Liga verzücken, wollen nur noch weg. Der BVB beispielsweise verpflichtet mittlerweile kommende Top-Stars, bei deren Wechseln nach Dortmund bereits ausgehandelt ist, dass sie ein oder zwei Jahre später weiterziehen dürfen. Die Bundesliga taucht auf den Partys der Großen aktuell nur im geliehenen Smoking auf.
Hinter dem BVB - und mittlerweile RB Leipzig - kommt nicht mehr viel. Die finanzielle Schere ist zu groß, das lässt sich nicht wegrationalisieren. Mehr als die Hälfte der Bundesliga-Mannschaften spielt für den Klassenerhalt und schwarze Zahlen, nicht für den Erfolg. Emotionsgeladene Eintagsfliegen wie Eintracht Frankfurt senden Lebenssignale, die auf dem Transfermarkt aber schleunigst wieder eingemottet werden.
Eingemottet, wie der FC Bayern. Dort passiert auch nicht mehr viel - abgesehen von den üblichen Titelgewinnen. Und wirklich gut gearbeitet wird dort seit der Einstellung von Hasan Salihamidzic auch nicht mehr. Der Kader ist nicht langfristig angelegt, es gibt aktuell zu wenige FCB-Spieler, die Säulen für eine erfolgreiche und identitätsstiftende Zukunft sind. Auch hier liegt die Hoffnung wieder auf einem Trainer: Julian Nagelsmann soll Sorge dafür tragen, dass der deutsche Rekordmeister auch auf Sicht mit der europäischen Spitze mithalten kann.
Die Bundesliga und der DFB: Nur noch ein Business
Kurzum: es fehlt an allen Ecken und Enden. Der Auftritt der deutschen U21 bei der Europameisterschaft macht ein wenig Mut, doch es fehlen die Ideen und die Konzepte für Nachhaltigkeit. Es fehlt an Leidenschaft, an Identität, an Fußballbesessenheit.
Die Bundesliga und die deutsche Nationalmannschaft sind zu einem Business verkommen. Das ist gut für diejenigen, deren Taschen gefüllt werden. Auf Sicht ist mit diesem Kurs aber klar, dass irgendwann nicht mehr Millionen von Zuschauern am Samstagnachmittag einschalten oder einen Zwanziger zusammenkratzen, um ins Stadion zu gehen. Denn was wir nicht vergessen dürfen - und das scheint der deutsche Fußball getan zu haben: Dieser Sport ist an erster Stelle Teil der Unterhaltungsbranche. Und ohne Sexappeal funktioniert das nicht.