Broich will beim BVB-Nachwuchs "Grenzen überwinden" und dafür "vom Ende her denken"
Von Simon Zimmermann
Seit dem 1. Juli dieses Jahres hat Thomas Broich bei Borussia Dortmund die Nachfolge von Lars Ricken als Nachwuchschef angetreten. Als neuer NLZ-Leiter will der 43-Jährige nach eigener Aussage "Grenzen überwinden". Dafür sei ein Paradigmenwechsel nötig, den Vorgänger Ricken bereits erkannt hatte und mit Broich als Nachwuchsboss umsetzen möchte.
"Lars Ricken hat genau da Möglichkeiten für den nächsten Entwicklungsschritt gesehen. Dann haben wir schnell Nägel mit Köpfen gemacht", erzählte Broich im vereinseigenen Interview über seine ersten Gespräche mit dem neuen Sportgeschäftsführer des BVB. "Es war ein Prozess, der über ein paar Monate ging. Der BVB hatte Spielkonzeption als einen Bereich identifiziert, in dem es weitere Potenziale gibt, und Spielkonzeption ist mein Steckenpferd. Damit habe ich mich in den vergangenen Jahren, fast schon ein Jahrzehnt lang, viel beschäftigt", führte Broich aus.
Broich will bei Nachwuchsförderung "vom Ende her denken"
Unter Spielkonzeption versteht Broich die Art und Weise, wie der BVB künftig vom Grundlagenbereich bis hoch zu den Profis auftreten möchte. Aggressives Gegenpressing, schnelle Balleroberungen und technisch hochwertiger Ballbesitzfußball soll die "Spielidee" der Borussen sein - von der U9 bis nach ganz oben. Um das im Jugendbereich umzusetzen und Rickens großen Wunsch zu erfüllen, müsse man laut Broich "vom Ende her denken". Rickens Ziel sei es, "dass Jungs aus dem eigenen Grundlagenbereich, also aus der U9, U10 oder U11, den Weg bis in die Champions League schaffen. Dass sie es schaffen, bei Borussia Dortmund nicht nur Kaderspieler zu sein, sondern Stammspieler".
Die Fragen, die sich Broich stelle, um diesen Plan umzusetzen, seien: "Was wird eigentlich auf Champions-League-Niveau verlangt? Was bedeutet das in der Ableitung für unsere U19 und in der Folge für alle Mannschaften bis zur U9?" Die Antworten gibt Broich auch gleich mit: "Der Fokus in der Spielkonzeption liegt dabei einerseits auf der technischen Komponente, also welche Skills haben die Jungs am Ball, und andererseits auf dem Spielverständnis."
Jugendspieler müssen "an Grenzen stoßen"
Ein weiterer elementarer Punkt in der Ausbildung sei aber auch die mentalen Fähigkeiten der Spieler. Gefördert werden müssen "die Resilienz, die Fähigkeit mit Druck, sogar mit Angst umzugehen, Widerstände zu durchbrechen, immer wieder aufzustehen, Charakterstärke zu entwickeln". Reize setzen will Broich dabei mit einer individuelleren Herangehensweise. Jugendspieler sollen so gefördert werden, dass sie immer auf einem herausfordernden Niveau spielen. Heißt: Ist ein Spieler weiter in seiner Entwicklung und in seiner aktuellen Altersstufe unterfordert, soll er in die nächsthöheren Altersklassen kommen. Auffälligstes Beispiel ist derzeit Mussa Kaba, der mit 15 Jahren bereits fester Bestandteil der U19-Mannschaft ist.
"Wenn wir am Ende genauso viele Spiele gewinnen, wie wir verlieren, wäre das nicht gut. Wir wollen deutlich mehr Spiele gewinnen. Die Spieler brauchen viele Erfolge, um an sich zu glauben, zu wachsen und eine Selbstwirksamkeit zu erfahren. Auf der anderen Seite sagen Psychologen aber auch, dass die Spieler weniger lernen, wenn sie zu oft unterfordert sind. In dem Fall lassen wir die besten Jungs eines Jahrgangs in älteren Klassen spielen, damit sie dort an Grenzen stoßen", beschreibt Broich den Plan.
"Dabei geht es komplett um den einzelnen Spieler. Die Frage, die wir uns immer stellen müssen, ist: Was lernt der Junge gerade, was braucht er? Wenn ein Spieler körperlich oder fußballerisch nicht mehr an Grenzen stoße, gehe er hoch in den nächsten Jahrgang. Er muss sich auf dem nächsten Level ausprobieren, sei es in der Trainingsumgebung oder sogar schon innerhalb eines Spiels. Anderen Spielern geben wir mehr Zeit. Solange das optimale Challenge-Level erreicht ist, ist alles gut" , so Broich weiter.
Kritik an neuer U19-Liga - Ist "Grenzen überwinden" dort überhaupt möglich?
"Grenzen überwinden" ist für Broich aktuell besonders bei der U19 das Stichwort. In der neu geschaffenen DFB-Nachwuchsliga, in der alle NLZ-Klubs vertreten sind, geht der BVB fast ausschließlich mit Jungjahrgängen an den Start. "Es gäbe keine stärkere Botschaft, als wenn das mit diesen Jungs sofort klappen würde. Die Erfahrung zeigt aber auch, dass man in solche Rollen erst hineinwachsen muss, dass man ein bisschen Zeit braucht. Wir werden wahrscheinlich mit dem einen oder anderen Rückschlag umgehen müssen. Trotzdem ist das der Weg, den wir dauerhaft gehen wollen", meinte Broich. Und schon hoffnungsvoll hinterher: "Irgendwann überwinden wir diese Grenzen."
Mit Blick auf den Saisonstart in die neue U19-Liga, in der es acht Gruppen gibt, in der jeweils acht Mannschaften aus einer Region aufeinandertreffen, muss man sich aber die Frage stellen, ob sich der DFB mit der Abschaffung der U19-Bundesliga einen Gefallen getan hat. Schon zum Start gab es einige Kritik. Auffällig ist nämlich, dass viele Teams unterfordert wirken. Das gilt auch für den BVB, der nach fünf Spielen fünf Siege mit einem Torverhältnis von 21 zu drei aufzuweisen hat. Die von Broich erhoffte optimale Förderung ist das sicher nicht.