Boykott-Forderung der WM ist zu kurz gedacht
Von Stefan Janssen
Dass die Spieler der deutschen Nationalmannschaft am Donnerstag eine Botschaft für Menschenrechte aussendeten, empfanden einige Menschen als heuchlerisch, sofern die WM im Katar nicht boykottiert werde. Dabei ist sogar die Menschenrechtsorganisation Amnesty International gegen ein Fernbleiben vom WM-Turnier.
Spätestens mit dem Beginn der Qualifikation in dieser Woche dürfte auch dem letzten klar geworden sein, dass die Weltmeisterschaft 2022 in Katar wirklich stattfinden wird. In einem Land, das auf der Fußballlandkarte bislang nicht vertreten war und das deshalb erst einige riesige Stadien bauen musste, damit das Turnier dort stattfinden kann. Und welches dafür unzählige Gastarbeiter ausgebeutet hat und in diesem Zuge laut The Guardian mindestens 6.500 Menschen das Leben kostete.
Längst ist eine Diskussion darüber entbrannt, ob es menschlich vertretbar ist, das Turnier dort überhaupt stattfinden zu lassen, beziehungsweise aus Sicht der Teilnehmer: ob man es nicht boykottieren sollte. Die norwegische Nationalmannschaft hat am Mittwoch ihrerseits ein Zeichen gesetzt, die deutsche am Donnerstag beim Spiel gegen Island ebenfalls, als sie mit bedruckten T-Shirts die Wörter "Human Rights", also "Menschenrechte", bildete. Vielen Menschen ist das aber nicht genug, für sie war das lediglich Heuchelei oder eine leere Botschaft, sofern das Turnier nicht boykottiert werde.
Doch ausgerechnet Amnesty International, die Organisation für Menschenrechte, die bereits seit Jahren auf die Missstände rund um die WM-Vorbereitung in Katar hinweist, hat sich unlängst gegen einen Boykott ausgesprochen. "Katar hat sich durchaus gesprächsbereit gezeigt und Reformen angestoßen", sagte zum Beispiel Regina Spöttl, Katar-Expertin der Menschenrechtsorganisation, der Zeit: "Es gibt Fortschritte, und mit einem Boykott würden diese um Jahre zurückgeworfen werden."
Amnesty-International-Generalsekretär Markus N. Beeko schrieb in einem Gastbeitrag bei der Rheinischen Post: "Die anhaltend schlechte Lage bleibt gefährlich für die Menschen und ist Hohn in den Ohren derer, die an das Große und Gute von Sport glauben. Die Forderungen nach Boykott sind daher nur allzu verständlich. Aber wie verhindern wir, dass die bisher errungenen Verbesserungen der Lebens- und Arbeitsbedingungen für die Tausenden Arbeiterinnen und Arbeiter nicht zurückgeworfen werden? Wie verhindern wir, dass Boykott-Forderungen nicht Wasser auf die Mühlen derjenigen ist, die weitergehende Reformen in Katar verhindern wollen?"
Leon Goretzka zur Aktion der Nationalmannschaft:
"Wir haben natürlich die WM vor uns. Darüber wird immer wieder diskutiert. Das möchten wir der Gesellschaft klarmachen, dass wir das nicht ignorieren. Dass wir ganz klar sagen, was für Bedingungen da herrschen müssen. (...) Wir haben da eine große Reichweite. Die können wir wunderbar nutzen, um ein Zeichen zu setzen für Werte, für die wir stehen wollen."
Die Menschen, "die in Katar unter den menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen leiden", hofften laut Beeko anstelle eines Boykotts viel mehr "auf internationale Solidarität, die das Sportereignis in die Pflicht nimmt. Ihre Hoffnung liegt weniger auf einer Absage der Spiele, die die bereits erreichten Erfolge für ihr Leben und ihre Arbeit in Luft auflöst, sondern auf einer internationalen Aufmerksamkeit, die wirkungsvoll und laut auf weitere Verbesserungen drängt." Die Verantwortlichen müssten dafür sorgen, "dass Fair Play, Respekt und Integrität auch für diejenigen gilt, die das ganze Spektakel erst ermöglichen".
Aus Sicht von Amnesty International wäre ein Boykott also der falsche Weg, um sich dafür einzusetzen, dass die Menschenrechte in Katar geachtet würden. Es geht es jetzt darum, durch das Turnier die Scheinwerfer auf die Missstände zu richten, den Dialog zu suchen und somit weitere Reformen im Wüstenstaat anzustoßen, wovon die dort lebenden und arbeitenden Menschen auf Dauer profitieren. Die Sichtweise der Menschenrechtsorganisation sollte sich der ein oder andere nochmal durch den Kopf gehen lassen, bevor er das nächste Mal in den sozialen Netzwerken auf den DFB los geht, wenn der eine Botschaft für Menschenrechte in die Welt hinaus sendet.