Bosman 2.0? Warum erneut ein EU-Urteil den Fußball verändern könnte
Von Lennart Sörnsen
Im Jahre 2015 wurde Lassana Diarra zu einer heftigen Geldstrafe von zehn Millionen Euro an seinen Ex-Verein Lokomotiv Moskau verurteilt. Nach einem langem Gerichtsstreit war der Fall vor dem europäischen Gerichtshof EuGH gelandet, der nun ein Urteil gefällt hat.
Doch von Beginn an - was war passiert? Diarra, der zuvor bereits für Vereine wie den FC Chelsea und Real Madrid gespielt hatte, wechselte 2013 zu Lokomotiv Moskau. Dort zerstritt sich der Franzose jedoch mit seinem Trainer Leonid Kuchuk. Daraufhin traf er eine folgenschwere Entscheidung. Trotz seines laufenden Vertrages entschied sich Diarra den Verein zu verlassen. Doch der Verein verklagte den Profi, die FIFA und der Sportgerichtshof CAS verhängten eine Strafe von zehn Millionen Euro. An dieser müssten sich kommende Vereine beteiligen, die Diarra unter Vertrag nehmen wollen.
Dieser Umstand soll dann dazu geführt haben, dass sich ein Wechsel Diarras nach Belgien letztlich zerschlug, da der Verein RSC Charleroi diese empfindliche Abfindung nicht bezahlen wollte. Diarra entschied sich daraufhin den belgischen Fußballverband sowie die FIFA auf Schadensersatz und Verdienstausfall zu verklagen. Die belgischen Richter gaben Diarra recht und sprachen ihm 60.001 Euro zu. Gleichzeitig verwies das Gericht den Fall an den EuGH weiter, damit diese ein Grundsatzurteil sprechen könne.
Dieses Urteil hat der EuGH nun gefällt! Das Gericht kam zu dem Entschluss, dass die Transferregeln der FIFA zu weitreichend sind. Sie "belasten diese Spieler und die Vereine, die sie einstellen möchten, nämlich mit erheblichen rechtlichen, unvorhersehbaren und potenziell sehr großen finanziellen sowie ausgeprägten sportlichen Risiken, die zusammen genommen geeignet sind, den internationalen Transfer dieser Spieler zu behindern", so der Gerichtshof in einer Pressemitteilung. Die Regeln der FIFA führen also dazu, dass Spieler in ihrer Freizügigkeit als Arbeitnehmer eingeschränkt werden. Zwar seien einige der Regeln gerechtfertigt gewesen, da sie etwa für die sportliche Planbarkeit und Vertragsstabilität grundlegend sind, insgesamt greifen die Regeln jedoch zu weit, so der EuGH.
Ein Urteil, welches weitreichende Konsequenzen für den Fußball mit sich bringen könnte. Der Fall erinnert an das bekannte Bosman-Urteil.
Das Bosman-Urteil
Bereits der Bosman-Fall hatte seinen Ursprung in Belgien. Der belgische Profi-Fußballer Jean-Marc Bosman hatte 1995 gegen seinen Arbeitgeber RFC Lüttich geklagt, da dieser nach Ablauf seines Vertrages eine seines Erachtens zu hohe Ablösesumme gefordert hatte. Bis dato war es noch üblich, dass Klubs auch nach Vertragsende eine Ablösesumme zugesprochen bekamen. Der Profi sah sich dadurch in seiner Arbeitnehmerfreizügigkeit eingeschränkt. Das Gericht hatte Bosman damals Recht gegeben und geurteilt, er dürfe ablösefrei den Verein verlassen.
Der belgische Fußballverband ging jedoch gegen das Urteil in Berufung. Das zuständige Gericht bestätigte in höherer Instanz dieses allerdings und gab den Fall an den EuGH weiter, damit dieser über eine grundsätzliche Regelung entscheiden könne. Das Urteil des EU-Gerichts sorgte wiederum zu einer Revolution im Fußball-Geschäft.
Denn der EuGH entschied, dass die Arbeitnehmerfreizügigkeit von Profifußballern durch die Ablösesummen eingeschränkt werde. Somit durften Spieler seither nach Ablauf des Vertrages einen Verein verlassen, ohne dass dieser eine Ablösesumme erhält. Das Bosman-Urteil hatte zur Folge, dass ablösefreie Wechsel seither im Profifußball Einzug erhalten haben. Ein wichtiges Urteil für die Rechte von Spielern, die somit nach Vertragsende frei ihren Arbeitgeber wechseln dürfen.
Folgen des Diarra-Urteils
Zurück zum aktuellen Fall. Denn auch dieser könnte weitreichende Folgen mit sich bringen. Zwar steht noch nicht fest, wie die FIFA ihre Regeln anpassen muss, um auf das Urteil zu reagieren. Jedoch dürfte dem Verband eine Klagewelle bevorstehen, sollten sie nicht angemessen auf den Rechtsspruch reagieren. Schließlich gibt das Urteil den Spielern und Beratern neue Möglichkeiten, um Wechsel voranzutreiben.
Das Urteil dürfte dafür sorgen, dass Spieler in Zukunft leichter den Verein wechseln können - selbst bei bestehenden Verträgen. Experten hatten im Vorfeld gar darüber spekuliert, dass ein Urteil dafür sorgen könnte, dass die Transferfenster abgeschafft werden, womöglich können Spieler in Zukunft also jederzeit den Arbeitgeber wechseln. Zusätzlich könnte das Urteil dafür sorgen, dass Spieler in Zukunft noch teurer werden. Kartellrechtsexperte Prof. Dr. Mark E. Orth prophezeite gegenüber dem kicker, "dass mit der EuGH-Entscheidung zu Diarra der Wettbewerb zwischen den Klubs um die Top-Spieler sich noch mal deutlich verschärfen wird. Die Top-Spieler werden also teurer." Mit dem Urteil werden außerdem die Verträge entwertet, die rechtliche Bindung erscheint weniger stark zu sein.
Welche genaue Auswirkungen der Rechtsspruch letztlich haben wird, hängt insbesondere von der Umsetzung der Verbände ab. Es kann jedoch damit gerechnet werden, dass Spieler in Zukunft häufiger trotz laufenden Verträgen die Vereine wechseln. Ob es, wie bei Bosman, jedoch zu einer Umstrukturierung des Transfersystems kommt und gar die Transferfenster abgeschafft werden müssen, steht noch in den Sternen.