Bleib bei Bayer, Xabi - Ein Kommentar
Von Oliver Helbig
Xabi Alonso kam zu Bayer Leverkusen, als der Verein sportlich in eine Katastrophe zu taumeln drohte. Der Strudel des Abstiegskampfes hatte Bayer erfasst und zerrte bereits an den Rheinländern. Bayer zog die Reißleine und setzte Gerardo Seoane vor die Tür. Sein Nachfolger: der bis dahin unerfahrene Trainer Xabi Alonso. Im Nachhinein ein echter Sensationscoup für die Werkself. Seit Alonso unter dem Bayer-Kreuz tüftelt, haben sich die Leverkusener zur wohl meistbeachteten Mannschaft der letzten Monate entwickelt. Nicht zuletzt wegen des Mannes an der Linie.
Doch die grandiosen Leistungen und konstant stabilen Ergebnisse, die die Werkself abliefert, wecken, wie im Business üblich, schnell die Begehrlichkeiten der großen Haie im Becken, die Xabi Alonso nun als ihren eigenen Heilsbringer ausrufen. Allen voran der FC Bayern München und der FC Liverpool.
Bayern macht derzeit keinen Sinn
Ein Wechsel zu den kriselnden Münchnern wäre meiner Meinung nach die schlechteste Wahl, die der ehemalige Bayern-Profi treffen könnte. Die Tatsache, dass es seit Pep Guardiola kein Bayern-Trainer mehr geschafft hat, mindestens zwei Jahre auf der Bayern-Bank zu sitzen, zeigt, dass das Problem in München nicht der Trainerstuhl ist, sondern dass der Verein viel tiefer kränkelt. Chaos in der Führungsetage, Spieler, die die Werte des Vereins nicht mehr leben und ein strukturelles Durcheinander im Kader. Den Münchnern fehlt eine klare Linie und damit die gewohnte Souveränität. Ihnen ist das Mia San Mia abhanden gekommen.
Natürlich traue ich Xabi Alonso zu, die sportliche Solidität wiederherzustellen, aber ich weiß nicht, ob er sich das antun sollte. Zumindest in dieser Phase seiner eigenen Entwicklung. Denkt an Nagelsann. Dass sich der Verein (spätestens) im Sommer von Tuchel trennen und nun erneut nach dem hellsten Stern am Trainerhimmel greifen würde, war aber absehbar.
Xabi Alonso steht erst am Anfang seiner Karriere als Profi-Trainer. Dass er zuvor einer der besten Fußballer der Welt war, spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle. Seine Entwicklung sollte weitergehen, und zwar unter vergleichsweise freien Bedingungen. In München würde man den Basken für die gesamte sportliche Entwicklung verantwortlich machen, hinter der sich müde Stars wieder verstecken könnten und womöglich abermals bereit wären, den Trainer zu opfern.
Auch die Systemfrage stellt sich. Während Alonso bei der Werkself mit einer Dreierkette agiert, ist der Bayern-Kader seit Jahren auf ein System mit Viererkette getrimmt. Zudem fehlt das Grundgerüst für die Zukunft. Ein ganzer Verein scheint im Umbruch. Bei Entscheidungsträgern wie Spielern. Ein solcher Umbruch bei einem Verein mit der Strahlkraft des FC Bayern und den damit verbundenen Erwartungen könnte Alonsos rasantem Aufstieg ein jähes Ende setzen. Zeit, ein Team aufzubauen, hätte Alonso bei aller Liebe wohl nicht.
Die Fußstapfen in Liverpool sind noch zu groß
Auch ein Wechsel nach Liverpool könnte nach der Ära Klopp eine Fehlentscheidung sein. Die Fußstapfen sind riesig und auch dort ist der Druck enorm. Auch in Liverpool wäre Alonso nicht so frei wie in Leverkusen. Auch hier könnte der Schritt zu früh kommen. Sich direkt an Klopps Leistungen messen lassen zu müssen, bei einem Verein, der die DNA des Trainers über Jahre angenommen zu haben scheint, könnte für Alonso hier zum Stolperstein werden. An der Anfield Road sollte erst einmal Gras über die Klopp-Ära wachsen und das Umfeld neu geerdet werden, bevor Alonso zu seinem Herzensklub zurückkehrt.
Bayer 04 ein warmes Nest zum wachsen
In Leverkusen liegt man dem 42-jährigen Welt- und Europameister zu Füßen, und ich bin sicher, dass man ihm zum Beispiel auch eine schwächere Folgesaison zugestehen würde. Niemand würde es ihm übel nehmen, wenn Bayer im nächsten Jahr vielleicht nur Vierter oder gar Fünfter wird. Was Alonso jetzt tun muss, ist, seine Philosophie zu festigen. Schwachstellen im System zu finden oder vielleicht auch mal schmerzhaft aufzeigen zu lassen und sich für die Zukunft noch breiter aufzustellen.
Nach dieser Saison werden die Gegner das Erfolgssystem der Werkself analysiert haben. Sie werden Wege finden, es zu stoppen. Die Kunst für den Leverkusener Trainer wird also darin bestehen, sein Konzept so weiterzuentwickeln, dass es auch in Zukunft nachhaltig und erfolgreich ist und es ihm erlaubt Antworten auf Gegner zu finden, die theoretisch Mittel und Wege gefunden haben, der Werkself die Zähne zu ziehen. Eine mehr als reizvolle Aufgabe für den Tüftler Alonso, der unter Garantie die nötige Sicherheit und den Rückhalt im Verein hat. Als Trainer in der Entwicklung sollte er diesen Schritt allen anderen vorziehen und die großen Verlockungen der strahlenden Topklubs in den Hintergrund rücken.
Wenn Alonso die Leverkusener Ergebnisse auch in der kommenden Saison bestätigen kann, dann ist er bereit für den nächsten Schritt und macht sich die Stelle in München womöglich eh selbst wieder frei.
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