Bernd Schuster: "Messi will niemanden ärgern!"
Von Guido Müller
Die Situation, die Lionel Messi zur Zeit beim FC Barcelona erlebt, dürfte einem ehemaligen deutschen Barça-Star mehr als bekannt vorkommen. Auch Bernd Schuster (60) wechselte in Spanien nicht immer ganz geräuschlos die Seiten. Und spielte am Ende für alle drei großen Klubs des Landes. In einem großen Interview mit El País analysiert der "blonde Engel" die aktuelle Lage - und vergleicht sie mit seiner eigenen Karriere.
Dass besagte Nebengeräusche oftmals auch seiner impulsiven Handlungsweise geschuldet waren, will der Altstar dabei gar nicht verhehlen. "Ich habe manche Dinge einfach schlecht gemacht, ganz bestimmt. Nicht immer hab ich die richtigen Entscheidungen getroffen. Ich glaub, dass mir einfach jemand gefehlt hat, der mich hätte beraten können. Jemand der mir gesagt hätte: Tu dies, oder tu dies nicht."
Unweigerlich denkt man da natürlich an seine Frau Gaby, die von Anfang an nicht nur Schusters bessere Hälfte war, sondern auch dessen Karriere wesentlich mitbestimmte. Aber der Berater in eigener Sache hat manchmal nicht den notwendigen Blick aufs große Ganze. Was Schuster mit den nachfolgenden Sätzen zumindest andeutet: "Mir fehlte ein Berater, ein Repräsentant. Kein Ehepartner. Jemand, der dir ins Gewissen redet und dich nicht einfach nur den Film drehen lässt, den du schon im Kopf hast."
"1990 hätte ich dabei sein müssen!"
Vor allem die verpassten WM-Turniere von 1982, 1986 und 1990 schmerzen Schuster noch heute. 1982 konnte er noch die fehlende Chemie zwischen ihm und dem damaligen Bundestrainer Jupp Derwall als Gründe für seine Abwesenheit angeben. Doch nach dem EM-Turnier 1984, als Derwall entlassen wurde, tat sich eigentlich eine neue Perspektive auf. Doch Schuster wusste sie nicht zu lesen.
"Was ich am meisten bedaure, ist, 1986 nicht zur Nationalmannschaft zurückgekehrt zu sein als Franz Beckenbauer mir dies vorschlug. Ich hab mir damals selbst einen Horrorfilm zurechtgelegt. Von wegen, dass zu viel Zeit ins Land gegangen sei, oder dass ich im Team keine Unterstützung finden würde. Und ich habe mich geirrt. Die Spieler aus meiner Generation, Jahrgang 1959/60, haben es am Ende dann geschafft und sind 1990 Weltmeister geworden. Ich hätte eigentlich dabei sein müssen."
Zum "Fall Messi" hat Schuster eine klare und dezidierte Meinung. Auch aufgrund ähnlicher eigener Erfahrungen. "Es sieht bisweilen so aus, als ob die großen Spieler verdammt seien, ihre Klubs durch die Hintertür verlassen zu müssen. Das ist schon mit anderen Stars passiert, und nicht nur beim FC Barcelona. Der Fall von Messi ist natürlich noch mal ganz besonders, weil er ein Spieler des Klubs ist. Mehr als er kann man für seinen Verein nicht erreichen. Nämlich im Klub langsam zu wachsen, dort Profi zu werden, Erfolg zu haben und am Ende zum besten Spieler der Welt zu werden. Doch das große Problem wartet am Ende der Geschichte: wie kann man unter solchen Bedingungen den Klub wechseln und die Karriere woanders ausklingen lassen?"
Schuster über Messi: "Verstehe ihn total!"
Genau dafür suchen momentan auch Lionel Messi und der FC Barcelona die Zauberformel. Und Schuster, wenig überraschend, hat Verständnis für den Argentinier: "Ich verstehe ihn total. Der Plan Messis war ja eigentlich nicht, den FC Barcelona zu verlassen. Aber im Laufe der Zeit merkst du, dass nicht immer alles wie geplant verläuft. Vor einiger Zeit sagte ich schon, dass Messi es verdient hätte, dass um ihn herum eine neue schlagkräftige Mannschaft aufgebaut wird. Er hat noch zwei bis drei gute Jahre vor sich. Aber er sah schon im letzten Jahr, dass daraus nichts werden würde. Er sah keine Verbesserung - und das 2:8 gegen die Bayern hat ihm dann den Rest gegeben."
Ob es ohne dieses schmachvolle Ergebnis auch zur Trennung zwischen Spieler und Klub gekommen wäre, lässt Schuster unbeantwortet - sagt aber auch: "Die Spieler haben manchmal, aufgrund der Erfolge der Vergangenheit, ein übergroßes Vertrauen in eine gute Zukunft. Dabei täuschen sie sich manchmal auch etwas selbst. Man denkt: wir haben eine tolle Mannschaft - aber tatsächlich ist dem nicht so. Schon vor dem Lockdown wusste Messi, dass diese Mannschaft gegen keinen ernsthaften Gegner gewinnen würde. Und das hat er auch laut gesagt. Und da kann man auch nicht einfach nur dem Trainer die Schuld zuweisen. Die Mannschaft hatte einfach ihren Zyklus hinter sich - und muss nun verändert werden. Ein Spieler spürt manchmal, wann eine Epoche beendet ist. Bei Messi ist dieser Moment jetzt gekommen."
Wobei man über die Formen natürlich immer streiten kann. Ein Burofax? Nach zwanzig Jahren Vereinsgehörigkeit? Viele Fans nehmen Messi diese Vorgehensweise übel. Aber auch hier findet Schuster solidarische Worte: "Die Formen zu wahren, ist dabei sicherlich das schwerste. Fast immer irrst du dich oder triffst zumindest nicht ins Schwarze. Wie du es auch anstellst, wird es nach hinten losgehen. Auch wenn du es wirklich gut meinst."
Schuster rät zu gütlicher Einigung mit Barça!
In der Konsequenz rät Schuster Messi dazu, es auf freundschaftlicher Ebene zu versuchen. "Mein Rat wäre, einen harmonischen Abgang auszuhandeln. Er hat immer betont, wieviel er dem Klub schuldet, und deshalb müsste er von sich aus versuchen, eine einvernehmliche Lösung zu finden. So wie sie Cristiano Ronaldo mit Real Madrid gefunden hat."
Erinnert an seine Wechsel innerhalb der großen spanischen Klubs, sagt Schuster, dass er nie die Absicht hatte, irgendjemandem etwas heimzuzahlen. "Es war kein Rachegefühl im Spiel", sagt er in Bezug auf seinen Wechsel vom FC Barcelona zu Real Madrid. "Eigentlich war Juventus mein Ziel, doch dann kreuzte Real meinen Weg. Ich hegte keinerlei Groll gegen den FC Barcelona. Im Gegenteil: ich war superdankbar für die acht Jahre, die ich dort verbracht habe. Ich wollte einfach nur das Beste für mich und meine Familie. Und bei meinem späteren Wechsel zu Atlético war es genauso. Ich bin nicht aus Revanchegelüsten dahin gewechselt. Es war einfach so, dass ich allein zuhause war und ohne Verein dastand. Als Atlético dann anrief, habe ich nicht daran gedacht, dass ich von Real kam. Ich glaube, bei Messi ist es ähnlich. Er will niemanden ärgern. Er will einfach gehen, weil er den Moment gekommen sieht."