Bayerns paradoxe Situation: Nach dem Höhepunkt kommen die entscheidenden Spiele!

So leicht wie gegen Barça wird es für die Bayern gegen Olympique Lyon wohl nicht
So leicht wie gegen Barça wird es für die Bayern gegen Olympique Lyon wohl nicht / Pool/Getty Images
facebooktwitterreddit

Ein deutsch-französisches Halbfinale in der Champions League, wie es uns ab kommenden Dienstag erwartet, haben wohl nur die wenigsten Experten vorhergesagt. Doch der den besonderen Corona-Umständen geschuldete k.o-Turnier-Modus hat am Ende für einige Überraschungen gesorgt. Für den FC Bayern gilt es nun, möglichst schnell das 8:2 gegen den FC Barcelona aus den Köpfen zu kriegen - und die gesamte Maschinerie im Spiel gegen Olympique Lyon (Mittwoch, 21.00 Uhr) wieder hochzufahren.

Parallelen zur Weltmeisterschaft 2014

Und das könnte schon die größte Schwierigkeit auf dem Weg zum Titel sein. Wobei auch mit einem Erfolg am Mittwoch immer noch nichts gewonnen ist und nichts weniger als ein Finale in der Champions League wartet. Die Situation ist somit durchaus vergleichbar mit der der deutschen Nationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft in Brasilien 2014.

Damals, nach dem epochalen 7:1-Sieg der DFB-Kicker gegen Brasilien, war der Höhepunkt (gefühlt) irgendwie schon erreicht. Und durfte es dennoch nicht sein. Der höchste Sieg ever in einem WM-Halbfinale - kein Grund auszuflippen! Der Torregen, den die deutsche Mannschaft damals über den Gastgeber ergoß - nicht mehr als ein weiterer Schritt auf dem Weg zum über allem stehenden Ziel: dem WM-Pokal!

Wahrscheinlich dachten damals viele meiner Landsleute wie ich: Wenn das Finale gegen Argentinien verloren geht, wird dieser historische Sieg von Belo Horizonte zwar nie vergessen werden - aber immer auch in Verbindung mit einem einschränkenden "aber" stehen. Und am Ende sogar mit einer Enttäuschung (nämlich doch nicht Weltmeister geworden zu sein) verknüpft sein.

So gesehen hätte es für die Bayern gestern nicht schlechter kommen können. Denn statt mit Manchester City und dessen Trainer (der ja auch mal der ihre war!) eine weitere absolute Top-Mannschaft (zumindest vom Namen her) in der Runde der letzten Vier vor der Brust zu haben, bekommen sie es nun mit dem Außenseiter Olympique Lyon zu tun. Falls man zu diesem Zeitpunkt des Wettbewerbs überhaupt noch von Außenseitern und Favoriten sprechen kann. War nicht auch Atlético Favorit gegen Leipzig? Oder City gegen eben diese Franzosen aus Lyon?

Natürlich erwarten die meisten, dass Bayern auch diese Hürde souverän überspringt. Zwar ist nicht damit zu rechnen, dass es ähnlich deutlich wie gegen den FC Barcelona ausgeht (wobei: so verrückt wie dieses Final 8-Turnier von Lissabon bisher verlaufen ist, würde mich mittlerweile gar nichts mehr wundern), aber dass die Münchener diesen vorletzten Schritt machen und ins Final einziehen werden, erscheint vielen als ausgemacht.

Olympique weiß mit der Außenseiter-Rolle bestens umzugehen

Und genau das könnte die große Chance für die von Trainer Rudi Garcia trainierten Südfranzosen sein. Schließlich haben sie auch schon im Achtelfinale (gegen Juventus Turin) und im gestrigen Viertelfinale die Rolle des Underdogs fantastisch angenommen und beide Male sämtliche Experteneinschätzungen zu Makulatur werden lassen. Warum sollte es ihnen nicht ein drittes Mal gelingen?

Weil die Bayern einfach unaufhaltsam scheinen, würde so mancher reflexartig antworten. Aber auch dafür gibt es Gegenargumente, die sich auf Präzedenzfälle stützen können: Ungarn 1954 zum Beispiel. Auch die hatten damals, bei der WM in der Schweiz, ihre Höhepunkte bereits vor dem Finale. Der große Mit-Favorit auf den Titel, Brasilien, wurde im Viertelfinale mit 4:2 aus dem Weg geräumt, eine Runde später (mit identischem Ergebnis) Uruguay, der damalige Titelverteidiger. Im Finale warteten dann nur noch die Deutschen. Was sollte da schon passieren? Wie es am Ende ausgegangen ist, gehört zum Legendentum der Fußballhistorie.

Auch könnte man dagegenhalten, dass der FC Bayern bereits in dieser laufenden Champions League-Ausgabe in beiden bisherigen k.o.-Runden jeweils als Favorit in die Partie gegangen ist. Die Ergebnisse indes (ein globales 7:1 in zwei Spielen gegen den FC Chelsea, ein 8:2 in einem Match gegen den FC Barcelona) waren beide male mehr als eindeutig und lassen es schlichtweg nicht zu, den Bayern in beiden Aufeinandertreffen eine Angst vor dieser Bürde anzudichten. Im Gegenteil: beide Aufgaben wurden so souverän gelöst, wie gemeinhin nur die der ersten Runde des DFB-Pokals. Selbst in der heimischen Meisterschaft wurden die Münchener meistens mehr gefordert, als von den Engländern und den Spaniern.

Verrücktes CL-Endturnier im Corona-Modus wirft viele Prognosen über den Haufen

Aber aus tiefenpsychologischer Perspektive her betrachtet, standen sie in beiden Runden einem gleichwertigen Gegner gegenüber. Zumindest vom Prestige, vom Namen der Gegner her. In die Favoritenrolle wurden die Bayern nicht zuletzt aufgrund ihrer wahnsinnigen Schlussperformance in der Bundesliga gehievt.

Gegen Olympique Lyon sind sie jedoch in allen Belangen Favorit. Der Gegner stand bis dahin erst einmal im Halbfinale der Champions League, nämlich in der Saison 2009/10 - kurioserweise auch damals gegen den FC Bayern! -, für die Münchener ist es das 20. Mal (!), dass sie im Europapokal der Landesmeister bzw. Champions League unter die letzten Vier kommen. Die Fallhöhe ist deshalb eine höhere als noch vor dem Showdown gegen den FC Barcelona. Doch so recht glauben mag ich eigentlich nicht daran, dass die Bayern jetzt, so kurz vor Schluss, noch mal Angst vor der eigenen Courage kommen. Aber wie gesagt: so verrückt wie dieses Endturnier in Lissabon bislang verlaufen ist, muss man weiterhin mit allem rechnen.