Barça-Atlético vor sieben Jahren: Als der Pupas seine eigene Geschichte neu schrieb
Von Guido Müller
Eines vorneweg: Egal, wie die beiden Top-Spiele des 35. Spieltages (die ersten Vier der Tabelle bleiben an diesem Wochenende unter sich!) ausgehen, wird die Kür des spanischen Meisters heute noch nicht stattfinden. Doch natürlich kommen vor allem beim Aufeinandertreffen zwischen dem FC Barcelona und Atlético Madrid (heute, 16.15 Uhr) Erinnerungen an den Mai 2014 auf.
Damals war es jedoch der 38. und somit letzte Spieltag - und die Auseinandersetzung zwischen culés und colchoneros hatte entsprechend einen wahrhaftigen Final-Charakter. Tatsächlich ging es auch nur noch um diese beiden Teams, was die Vergabe des Meister-Titels betraf.
In diesen letzten Spieltag der Saison 2013/14 gingen die Azulgrana als Tabellenzweiter, drei Punkte hinter dem Tabellenführer Atlético Madrid. Real Madrid, als Tabellendritter mit fünf Punkten Rückstand auf seinen Stadtrivalen, war aus der Verlosung bereits raus.
Ein Sieg der Katalanen im entscheidenden Showdown gegen die Rojiblancos - und sie hätten (aufgrund des gewonnenen direkten Vergleichs) die Meisterschaft erfolgreich verteidigt. Ein Punkt hätte wiederum Atlético zum 10. Titel seiner Vereinsgeschichte gereicht.
Liga-Finale vor der Brust - Champions League-Finale im Hinterkopf
Doch an jenem 17. Mai 2014 hatte Atlético nicht nur einen physischen Gegner, in rot-blau gekleidet, auf dem grünen Rasen vor sich - sondern auch die mentale Herausforderung, ein für die Vereinsgeschichte fundamental wichtiges Spiel, nur eine Woche nach dem Liga-shoot out, irgendwie aus den Köpfen zu bekommen.
Denn sieben Tage nach dem "Finale von Barcelona" wartete in Lissabon das Endspiel der Champions League - gegen den ungeliebten Stadtrivalen Real Madrid. Zum ersten Mal seit exakt vierzig Jahren, seit jenem verhängnisvollen Europapokalfinale der Landesmeister gegen Bayern München, hatten es die Rojiblancos in diesem Wettbewerb wieder so weit geschafft.
Doch davon durften sich die von Diego Simeone trainierten Spieler an diesem ligaentscheidenden Nachmittag des 17. Mai nicht ablenken lassen.
Doch die ersten Minuten des Spiels ließen eine gewisse mentale Lähmung der Atlético-Spieler erkennen. Vor allem Barças Rechtsverteidiger Dani Alves wirkte von Beginn an wie aufgedreht und machte auf seiner Flanke mächtig Dampf.
Früher Schock für Atlético: Costa verletzt raus!
Und dann der Schock für Atlético in der 14. Spielminute: ohne gegnerischen Einfluss blieb Mittelstürmer Diego Costa nach einem kurzen Sprint liegen und zeigte an: es geht nicht mehr.
Besonders bitter: in den Tagen vor dem Spiel war in Spaniens Hauptstadt viel darüber diskutiert worden, den Hispano-Brasilianer für das Liga-Finale eventuell zu schonen, um ihn für das Champions League-Endspiel in gutem Fitness-Zustand zu wissen.
Jetzt war nicht nur dieser Plan komplett im Eimer - sondern schien Costa überdies Gefahr zu laufen, am Ende sogar beide Matches zu verpassen.
Für "die Echse" kam Adrián López - und Barça witterte nun logischerweise erst recht seine Chance. Dennoch prägten vor allem Unsicherheiten und maximaler kämpferischer Einsatz die folgenden Minuten.
Barça-Führung wie aus dem Nichts!
Tatsächlich plätscherte die Partie gerade so dahin, als wie aus dem Nichts das Stadion förmlich explodierte.
Eine Fàbregas-Flanke aus dem Halbfeld ließ Lionel Messi im Strafraum auf Alexis Sánchez abprallen, der den Ball in Torjäger-Manier humorlos unter die Latte nagelte. Ein Wirkungstreffer für die Gäste, die sich aber in den letzten Minuten der ersten Halbzeit berappeln konnten. Doch zur Pause hieß der neue spanische Meister - FC Barcelona.
Der große Moment des Diego Godín
Mit beeindruckender Ruhe und Abgeklärtheit ging Atlético jedoch auch die ersten Minuten der zweiten Halbzeit an. Der Lohn ließ nicht lange auf sich warten: nach einer Gabi-Ecke von rechts schraubte sich im Barça-Strafraum der uruguayische Innenverteidiger der Madrilenen, Diego Godín, am höchsten und köpfte unhaltbar für Barcelonas Keeper Pinto zum Ausgleich ein. Nur vier Minuten nach Wiederanpfiff lag wieder Atlético im Meisterrennen vorn.
Ein Wahnsinn: Nach den Rückschlägen der frühen Costa-Auswechslung und des wie aus heiterem Himmel gefallenen Tores der Gastgeber zerbrach Atlético nicht etwa, wie schon so viele Male zuvor in seiner Vereinsgeschichte, am Schicksal - sondern stellte sich ihm mit aller Macht entgegen.
Die Legende des pupas, die den Klub seit eben jener Niederlage gegen die Bayern im Mai 1974 wie ein Fluch verfolgt hatte, schien an diesem 17. Mai endgültig umgeschrieben zu werden.
Doch noch waren ja gute vierzig Minuten zu spielen. Barcelonas Trainer Martino reagierte auf die kurzzeitige Konfusion seines Teams nach dem Ausgleich und brachte in der 62. Minute Neymar für den blassen Pedro.
Und der Brasilianer riss das Spiel auch gleich an sich. An ihm vor allem zogen sich seine Mitspieler nun hoch, während Superstar Lionel Messi über die komplette Spielzeit seltsam uninspiriert wirkte.
Hochintensives Spiel - jedoch ohne große Torchancen
In der Folge nahm das Spiel an Intensität zu, wenngleich die großen Torchancen auf beiden Seiten Mangelware blieben. Doch latent war in fast jeder Aktion eine gewisse Gefahr für eines der beiden Gehäuse zu spüren.
Ein Tor wurde Messi in der 64. Minute aufgrund einer Abseitsposition zu recht aberkannt. Danach blieben die Hausherren zwar am Drücker, doch wirklich gefährlich wurde es für Atlético nur noch einmal in der 81. Minute, als Courtois einen gefährlichen Schuss von Alves über die Latte lenken konnte.
Dann, nach etwas mehr als drei Minuten Nachspielzeit, war es vollbracht: achtzehn Jahre nach dem letzten Meistertitel konnte endlich wieder eine neue Atlético-Generation den wertvollsten nationalen Titel erobern - und nebenbei eine neunjährige Hegemonie der beiden Großen in Spanien durchbrechen (der letzte Meister, der nicht FC Barcelona oder Real Madrid geheißen hat, war der FC Valencia im Jahr 2005).
Beeindruckend auch die Performance der knapp 100.000 Fans im weiten Rund, mehrheitlich logischerweise auf Seiten der Gastgeber: mit stehenden Ovationen wurden nach dem Schlusspfiff des fehlerlosen Antonio Matéu Lahoz nicht nur die eigenen Spieler bedacht - sondern auch die des neuen Meisters.
PS: der Costa-Plan von Atlético ging am Ende tatsächlich nicht auf. Im Champions League-Finale eine Woche später musste der Angreifer bereits nach neun Minuten verletzt ausgewechselt werden - und von außen mit ansehen, wie Sergio Ramos in der 93. Minute (!) die Verlängerung für sein Team erzwang. Der Rest ist bekannt...und ein klein wenig der echten pupas-Tradition war wiederhergestellt.