Außenverteidiger-Ranking im DFB-Team: Viele Optionen mit einigen Fragezeichen
Von Dominik Hager
Denkt man über hochveranlagte deutsche Spieler in der Außenverteidigung nach, kommt einen in Bezug auf die letzten 20 Jahre eigentlich nur Philipp Lahm in den Sinn. Die Position ist seit einiger Zeit ein Problem-Punkt in der DFB-Elf und seit dem Karriereende von Lahm doppelt präsent. Wir sehen uns an, welche Spieler in Hinblick auf die WM 2022 die besten Karten haben.
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Joachim Löw schien die Außenverteidiger-Problematik bei der EM 2020 eigentlich recht klug umschiffen zu können. Mit einer Dreierkette und den Schienenspielern Kimmich und Gosens ließ sich die Besetzung auf dem Papier eigentlich gut lesen. Problem bei der Sache: Die Dreierkette passte nicht zur Nationalmannschaft. Hansi Flick wird sich demnach mit ziemlicher Sicherheit treu bleiben und in seiner üblichen Formation mit Viererkette agieren. Dies verändert natürlich auch die Chancen der Akteure.
Rechtsverteidigung:
1. Lukas Klostermann
Dem Leipziger kommt die Viererkette sicherlich entgegen. Der Rechtsfuß ist spielerisch ein wenig limitiert und kann demnach insbesondere auf engem Raum nicht die Akzente setzen, die man sich aufgrund seiner Geschwindigkeit erwarten könnte.
In Leipzig agiert Klostermann mal als rechter Innenverteidiger und mal als rechter Schienenspieler. Beachtlich sind seine 62 Prozent gewonnenen Zweikämpfe, nicht aber seine zwei Vorlagen in 27 Pflichtspielen. Klostermann ist sicher kein Flankengott, jedoch stellt sich ohnehin die Frage, ob es in der Mitte einen ordentlichen Verwerter gäbe.
Mit seiner Athletik ist der Spieler dafür defensiv ein Trumpf gegen schnelle Gegenspieler. Klostermann hat inzwischen auch genug Erfahrung gegen Top-Spieler und ist daher ein aussichtsreicher Kandidat für die großen Spiele. In diesen Partien könnten sich dann auch mal Räume ergeben, die der Leipziger offensiv in gezielten Vorstößen nutzen könnte.
2. Jonas Hofmann
Der Allrounder im Team wäre sicherlich als Schienenspieler noch besser aufgehoben als in der Viererkette. Seine enorme Torgefahr und sein Zug über die Außenbahn sind für das Offensivspiel natürlich eine große Bereicherung. Ob er all diese Qualitäten aber in einer etwas defensiveren Rolle nutzen kann, erscheint zweifelhaft. Seine Zweikampfquote von 39,5 Prozent (laut Ligainsider) ist zudem ein wenig erschreckend, kann aber ein wenig durch seine offensive Rolle bei den Fohlen erklärt werden.
Gegen einen Top-Gegner kann man Hofmann hinten rechts eigentlich nicht guten Gewissens starten lassen. Gegen schwächere Gegner und im Falle eines Rückstandes ist er hingegen eine Trumpfkarte. Fußballerisch ist der Spieler eben top.
3. Ridle Baku
Der Wolfsburger gehört ebenfalls der Marke "offensiv ausgerichteter Abwehrspieler" an. Baku bringt ein gutes Tempo mit und ist sowohl als Vorbereiter als auch als Torschütze gefährlich.
Dass er sich in der DFB-Elf aber noch nicht durchsetzen konnte und auch nicht der größte Flick-Liebling ist, liegt wohl an seinen defensiven Defiziten und zu vielen Schludrigkeiten.
Baku bringt großes Potenzial mit, stagniert jedoch derzeit. Das WM-Turnier kommt für den 23-Jährigen (zumindest als Stammkraft) wohl zu früh. Auch seine Zweikampfquote (45 Prozent) müsste er bis dahin noch nach oben drücken.
4. Thilo Kehrer
Der PSG-Verteidiger gehört zu den Gewinnern unter Hansi Flick. Der Defensiv-Allrounder kann in der Viererkette überall spielen und überzeugte zuletzt im DFB-Dress.
Kehrer ist natürlich eher ein Spezialist für das Verteidigen und überzeugt mit Zweikampfstärke und einer guten Athletik. Immer gelingt ihm das aber auch nicht fehlerfrei, weshalb er sich in Paris auch nie dauerhaft etablieren konnte.
Auf dem Weg nach vorne ist der gelernte Innenverteidiger natürlich ein wenig limitiert. Ähnlich wie Klostermann ist Kehrer ein Kandidat, wenn die starken Teams warten und es vielleicht mehr darum geht, die Seite (wie Höwedes 2014) einfach zuzumachen.
5. Matthias Ginter
In der Innenverteidigung dürften Süle und Rüdiger die Nase vorne haben, was jedoch noch nicht zwangsweise mit einem Bank-Platz für Ginter einhergehen muss. Ginter versteht das Verteidiger-Handwerk trotz seiner schwierigen Saison in Gladbach natürlich bestens. Ein wenig fehlt es ihm jedoch an Schnelligkeit und Beweglichkeit, was außen mehr ins Gewicht fallen könnte.
Nach vorne ist Ginter selbstredend keine große Nummer. Präzise Pässe und ab und an die ein oder andere gelungene Flanke kann der Spieler aber trotzdem liefern. Seine Einsatzchancen hängen natürlich auch davon ab, wie es bei seinem noch nicht feststehenden neuen Arbeitgeber läuft.
Linksverteidigung:
6. Robin Gosens
Robin Gosens ist natürlich offensiv eine Wucht. Dies hat er in den vielen Jahren bei Atalanta Bergamo absolut unter Beweis gestellt. Der Linksfuß ist athletisch, durchsetzungsfähig, schussstark und leidenschaftlich. In einer Fünferkette kommen seine Fähigkeiten aber deutlich besser zum Tragen.
Defensiv offenbart der Spieler oftmals ein paar Schwächen im Stellungsspiel, was in der Viererkette schon mal zum Problem werden kann. Gosens wurde zuletzt zudem von einigen Verletzungsproblemen gestoppt und konnte sich bei Inter Mailand noch nicht durchsetzen. Dies müsste sich bis zum WM-Turnier ändern, sonst wackelt sein Platz gewaltig.
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7. Christian Günter
Christian Günter ist extrem athletisch und willensstark. Beim SC Freiburg hat sich der 29-Jährige über all die Jahre hinweg großartig entwickelt. In der laufenden Saison hat der Linksfuß dank seiner Läufe an die Grundlinie schon sieben Tore vorbereitet.
Defensiv hakt es beim Freiburger aber ein wenig. 40 Prozent gewonnene Zweikämpfe klingen schon recht dürftig. Tatsächlich weist der Spieler seit vier Jahren schon Werte um die 40 Prozent auf, was im Spiel selbst aber gar nicht so dramatisch zum Vorschein kommt. Oftmals täuscht aber seine Athletik über seine nicht ganz so gute Zweikampfführung hinweg.
Im Passspiel und auf engem Raum hat Günter immer wieder mal seine Probleme, weshalb er wohl besser ins Freiburger Spiel als in jenes der DFB-Elf passt. Auch weil keine großen Sprünge mehr zu erwarten sind, wird er es schwer haben, mitfahren zu dürfen.
8. Benjamin Henrichs
Benjamin Henrichs startete geradezu sagenhaft als ganz junger Spieler bei Bayer 04 Leverkusen in seine Fußball-Karriere. Leider konnte sich das Mega-Talent nie so gut weiterentwickeln wie man sich das erwartet hätte. Bei AS Monaco lief es mäßig und auch bei RB Leipzig ist er nie zum absoluten Stammspieler und Leistungsträger geworden.
Henrichs bringt ein bisschen was von allem mit: Eine ganz gute Athletik und Schnelligkeit, ordentliches Zweikampfverhalten und hier und da mal eine präzise Flanke oder ein strammer Abschluss.
Tatsächlich ist Henrichs wohl der ausgeglichenste und ausgewogenste Außenverteidiger Deutschlands. Jetzt gilt es für den Spieler aber auch, sein Skill-Set regelmäßig auf dem Platz zu zeigen. Ein halbes Jahr hat er dafür noch Zeit. Zwischen Stammplatz und kein Kaderplatz erscheint noch alles möglich. Die letzten Wochen bei RBL geben aus Henrichs Sicht Grund zur Hoffnung.
Fazit: Klostermann und Gosens führen das Rennen an: Ginter und Raum lauern
Auf der rechten Seite gibt es einen Wettstreit zwischen den Defensiv-Könnern wie Klostermann, Ginter und Kehrer und den offensiven Spielern Hofmann und Baku. Derzeit deutet deutlich mehr auf eine defensivere Variante hin. Klostermann hat als gelernter Außenverteidiger wohl vor Ginter die besten Karten. Kehrer müsste sich schon einen Stammplatz bei PSG erkämpfen, um daran etwas zu rütteln. Hoffmann dürfte als Allrounder gute Karten auf einen Kaderplatz haben, wird aber wohl nur gegen schwächere Gegner eine Option sein. Baku wird kämpfen müssen, um überhaupt dabei zu sein.
Ein defensivstarker Akteur auf rechts macht zudem Sinn, weil die Kandidaten auf links allesamt etwas offensiver ausgerichtet sind. Derzeit hat wohl Robin Gosens noch die Nase vorne, doch der junge David Raum rüttelt an seinem Thron. Hansi Flick ist sehr angetan vom Hoffenheimer und könnte diesen zu Nummer eins machen. Bei Henrichs ist noch mehr Kontinuität gefragt, während Günter nicht über eine Backup-Rolle herauskommen wird.
Möglich wäre aber auch eine Variante mit Henrichs auf der rechten Abwehrseite und etwa Kehrer hinten links. Der Bundestrainer dürfte hier bis zur WM-Kader-Nominierung noch einiges ausprobieren.