Auf der Suche nach dem Warum - Reflexionen eines HSV-Fans!

Für van Drongelen und Co. ging es nach dem 11. Spieltag langsam aber stetig bergab
Für van Drongelen und Co. ging es nach dem 11. Spieltag langsam aber stetig bergab / DeFodi Images/Getty Images
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Bei der Analyse der Wiesos und Warums des erneuten Scheiterns seiner Lieblingsmannschaft ertappt man sich bisweilen dabei, in quasi-schizophrenen Dimensionen zu denken. Das war eigentlich schon immer so. Und setzt sich bis in die heutige Zeit fort.

Und so war es für mich auch nie ein Ding der Unmöglichkeit, Rudi Völler oder Karl-Heinz Rummenigge dafür zu huldigen, dass sie für Deutschland mal wieder ein wichtiges Tor erzielt hatten, und sie wenige Tage später für genau dasselbe zu verwünschen. Dann nämlich, wenn sie auch gegen meinen geliebten HSV einnetzten. Und das geschah öfter, als mir lieb war, glaubt mir.

Und so zog sich das weiter. Auch auf Klubs bezogen. Waren der 1.FC Köln, der SV Werder Bremen oder auch die Bayern im Europapokal unterwegs, wurden sie von mir unterstützt. Bedingungslos. Aber sobald der Samstagnachmittag anbrach, es 15.30 Uhr wurde, war alle Loyalität mit diesen Klubs aufgebraucht, dachte ich nur noch in schwarz-weiß-blau.

Wann und wo ist die Mannschaft falsch abgebogen?

Von daher ist eine gewisse Schizophrenie vielen Fußballfans schon von Haus aus eigen. Doch warum sinne ich darüber? Nun, aus dem einfachen Grund, dass ich die laufende Saison des HSV immer wieder Revue passieren lasse und mich frage: Wann? Und wo? Wann und wo gab es diesen Moment, an dem alles kippte? Wann und wo ist die Mannschaft falsch abgebogen? War die erste Phase der Hinrunde, in der es von Kantersiegen des HSV (4:0, 4:2, 3:0, 4:0, 6:2) nur so wimmelte, nebenbei auch noch Siege mit ein oder zwei Toren Differenz eingefahren wurden, war diese Phase also vielleicht gar nicht so gut? Waren vielmehr die Gegner damals einfach zu schwach? Habe ich mir all diese Siege nur schön geredet, und entsprach die reale Leistung gar nicht dem Ergebnis?

Auf die Spiele gegen Nürnberg, Karlsruhe und das damalige Hannover mag das vielleicht noch zutreffen. Das wären die ersten drei der oben genannten Resultate in der Hinrunde. Aber Aue war damals schon Fünfter. Stuttgart gar Zweiter. Eine Woche vor dem Sieg gegen den VfB wurde in Bielefeld mehr als überzeugend gepunktet. Von daher: man hat sie doch alle, unten wie oben, mehr oder weniger beherrscht bis zu diesem Zeitpunkt. Bis die Spiele gegen die sogenannten Kellerkinder, also die von ganz unten, kamen.

Im Grunde genommen lässt es nur einen, wenn auch recht vagen Schluss zu: das 6:2 gegen die Schwaben war irgendwie Gift. Kurioserweise sah man die Wirkung desselben schon ein paar Tage später im DFB-Pokal. Gegen denselben Gegner. Nur hatte der damalige VfB-Coach Tim Walter (jetzt auch beim HSV im Gespräch) mehr Antworten als Dieter Hecking auf die im Ligaspiel aufgeworfenen Fragen und revanchierte sich mit dem Einzug ins Achtelfinale. Der Umgang mit diesem Ausscheiden, auch wenn ich persönlich, als reiner Fan (da ist sie wieder, die Schizophrenie) auch nicht sonderlich schwer davon getroffen war, erweist sich im Nachgang wohl als der falsche. Der Mannschaft wurde eine Reaktion wie auf eine Niederlage in einem Vorbereitungsspiel vermittelt und wurde quasi von aller Schuld freigesprochen.

Jetzt kann man sagen, dass es solche und solche Mannschaften gibt. Es gibt wohl tatsächlich Teams, die eine solche Rückendeckung des Trainers (denn doll war der Auftritt im Pokal wirklich nicht) als zusätzliche Stimulanz genutzt hätten, um sich um so mehr auf das große gemeinsame Ziel einzuschwören, das da heißt: Rückkehr in die Bundesliga. Und es gibt den HSV. Schon der Auftritt in Wiesbaden, im darauf folgenden Liga-Spiel, war geprägt von einer leichten Arroganz gepaart mit Hochmut: den Tabellenletzten? Den würde man nach dem Tor-Festival gegen den VfB doch wohl auch locker in Schach halten können. Und tatsächlich war dies zu weiten Teilen auch der Fall: Der HSV drückend überlegen, der HSV mit Chancen, mit vielen Chancen - allein: er ließ schon zu diesem Zeitpunkt der Saison die meisten davon liegen. Und trotzdem schien sich damals, an jenem ersten Novemberwochenende, kurz nach der Halbzeit alles zum Guten zu wenden.

War der Glaube wieder da, dass man den Kantersieg im Spitzenspiel nun doch noch mit einem Pflichtauswärtssieg vergolden würde. Kinsombi traf zum 1:0. Ausgerechnet mochte man damals schon sagen. Ausgerechnet der schon hinter der Hand als Flop ausgemachte. Und dann musste der zurückliegende Gegner nach knapp einer Stunde auch noch einen Platzverweis verdauen. Doch der HSV vergab Chancen in Serie, um auf 2:0 zu stellen. Das Ende vom Lied kennen wir aus den letzten Spielen nur allzu gut. Pikanterie am Rande: es war (ausgerechnet) ein Ex-HSVer, der die Rothosen in der Nachspielzeit bis ins Mark traf.

Warum konnte man nicht auf die Reaktionen der Gegner seinerseits reagieren?

In den genau 21 Spielen seitdem hat der HSV exakt sieben Mal gewonnen. Was einem Schnitt von einem Sieg alle drei Spiele gleichkommt. Vor dem Wiesbaden-Spiel in der Hinrunde konnte man noch jedes zweite Spiel gewinnen. Die Gier, die Lust auf schönen UND erfolgreichen (heißt: mit Toren gekrönten) Fußball scheint dem HSV nach der 6:2-Gala komplett abhanden gekommen zu sein. Es gab dann auch nur noch einen einzigen Sieg mehr mit mehr als drei Toren Differenz. Und das gegen am letzten Spieltag akut abstiegsbedrohte Nürnberger.

Jetzt kann man sagen: Die Gegner haben sich halt auf den HSV eingestellt. Stimmt. Genauso kann ich aber auch fragen: Warum hat unser Trainer sich nicht seinerseits auf die Reaktionen der Gegner einstellen können? Hatte er das Material nicht, dass er haben wollte? Wohl kaum. Als Hecking kam, standen eigentlich nur die Deals von Kinsombi, Hinterseer, Gyamerah und Heuer Fernandes bereits fest. Alle anderen Neuzugänge wurden unter seiner Regie eingekauft. Auch ein Ewerton. Der wurde in einer für Hecking eher unüblichen Euphorie angepriesen, als jemand, der das Spiel gut von hinten raus organisieren könne und auch stabil im Kopfballspiel sei. Beides wäre tatsächlich in den letzten Wochen bitter nötig gewesen, doch Ewerton hat all diese Tugenden bisher noch nicht nachweisen können. Zumindest nicht beim HSV.

Gezockt - und verloren!

Und da das Business der Kadererstellung auch immer ein Stück weit ein Glückspiel ist, ist man auch beim HSV ins Risiko gegangen. Und servierte den anderen noch verbliebenen Innenverteidiger in der Winterpause auch gleich noch ab. Der fand dann zwar keinen neuen Klub - für die Profis des HSV, das war nun klar, würde er aber auch nie wieder spielen. Und so ging man in die Wette. Wetten, dass...wir trotzdem damit durchkommen. Mit einer Abwehr, deren Löchrigkeit sich auch schon in fast jedem Spiel in der Hinserie offenbarte, die aber damals durch die hohe Toreffizienz kompensiert wurde. Am Ende ist die Wette nicht aufgegangen, hat man das Glücksspiel verloren. Ersatz für Ewerton und/oder Papadopoulos wurde nicht geholt. Und die Abwehr wurde im Laufe der Rückrunde zusehends instabiler.

Ganz erfolglos war man dann in Sachen Kaderplanung im Winter aber doch nicht. Kurioserweise lag der HSV bei der Torjäger-Wahl sogar goldrichtig. Nach langen, langen Jahren der Erfolglosigkeit auf diesem Gebiet. Eigentlich bitter, dass trotz der mittlerweile neun Tore des Joel Pohjanpalo am Ende womöglich doch nur der vierte Platz bleibt. Woran man aber auch ablesen kann: Offensiven gewinnen dir Spiele, Defensiven gewinnen dir Titel. Oder Aufstiege.

PD: Trotz des Abgesangs, den man aus diesen Zeilen vielleicht herauslesen kann (und auch darf), werde ich am kommenden Sonntag natürlich wieder vorm Bildschirm hocken und mitfiebern. Eben total schizo.