AC Milan im freien Fall
Von Jan Kupitz
Mit der wohl schlechtesten Saisonleistung in einer der wichtigsten Partien dieser Spielzeit ging AC Milan am Montagabend mit 0:3 bei Lazio Rom unter. Die Niederlage war in dieser Höhe vollkommen verdient, kein Akteur aus der Pioli-Elf erreichte auch nur annähernd Normalform. Vergeigen die Rossoneri tatsächlich noch die Champions League?
Es ist noch gar nicht so lange her - nur knapp drei Monate -, da führte Milan komfortabel die Tabelle der Serie A an. Die Rossoneri hatten satte zehn Punkte Vorsprung auf Rang fünf, die Königsklasse schien nahezu eingetütet zu sein. Endlich! Nach acht Jahren Abstinenz winkte die Rückkehr in die Champions League, die - wie Adriano Galliani es stets betonte - in der DNA des Vereins liegt.
Doch während die Rossoneri damals im Gleichschritt mit Stadtrivale Inter von Sieg zu Sieg eilten, hat sich seitdem einiges verändert. Mittlerweile gurken sich die Rossoneri von Spiel zu Spiel, wirklich überzeugende Leistungen gibt es seit mehreren Monaten nicht mehr.
Das 0:3 gegen Lazio, das im Vorfeld als Knackpunkt für den weiteren Saisonverlauf angesehen wurde, war ein Tiefschlag für alle, die es mit Milan halten. So blutleer, so ideenlos, so teilnahmslos präsentierte sich die Elf von Stefano Pioli, dass es vor dem heimischen TV schon weh tat. Die völlig verdiente Niederlage beförderte Milan (punktgleich mit Napoli und Juve) auf Rang fünf - erstmals in dieser Saison liegen die Rossoneri damit außerhalb der Champions-League-Ränge.
Nun könnte man natürlich sagen, dass Milan weiterhin alles in der eigenen Hand hat, es stehen schließlich noch fünf Spiele aus. Das stimmt auch. Doch wer glaubt ernsthaft, dass die Rossoneri in der Lage sind, nicht nur gegen die drei ums Überleben kämpfenden Klubs vom FC Turin, Benevento und Cagliari, sondern auch gegen die beiden Angstgegner Juventus und Atalanta zu gewinnen? Da müsste schon ein kleines Wunder her, damit Milan aus diesen fünf Partien mindestens zwölf oder dreizehn Punkte einfährt.
An dieser Stelle fragt man sich, wo denn alles schief ging, dass Milan trotz einer traumhaften ersten Halbserie am Ende mal wieder ohne Königsklasse da zu stehen droht.
Piolis fragwürdige Personalentscheidungen
Bei solchen Fragen kommt man natürlich auch nicht um den Trainer herum. So herausragende Arbeit Pioli im Jahr 2020 geleistet hat, so fragwürdig sind seine Personalentscheidungen der letzten Monate. Ein Hakan Calhanoglu hat trotz einer unterirdischen Form einen Freifahrtsschein, dazu dürfen sich immer wieder Milan-unwürdige Spieler wie Samu Castillejo und Rade Krunic beweisen - nur um jedes Mal aufs Neue zu enttäuschen.
Hochtalentierte Spieler wie Sandro Tonali, Rafael Leao und Jens Petter Hauge (was hat Pioli eigentlich gegen ihn??) hat der 55-jährige Coach bislang keinen einzigen Schritt nach vorne bringen können, auch Alexis Saelemaekers ist nach einem guten Frühjahr/Sommer 2020 seit Monaten im Loch. Dass mit Zlatan Ibrahimovic der absolute Unterschiedsspieler häufig aufgrund von körperlichen Problemen ausfällt, tut Milans Mannschaft doppelt und dreifach weh. Ohne ihn findet Pioli schlichtweg keine Lösungen.
Und so reiht sich ein Missstand an den nächsten und resultiert letztlich darin, dass Milan trotz eines überragenden Kalenderjahres 2020 aktuell wieder da steht, wo man bereits unter Gennaro Gattuso war: Nah dran an den Champions-League-Rängen - nur (vermutlich) ohne den letzten Punch, um es in die Königsklasse zu schaffen. Mit dem einzigen Unterschied, dass die Rossoneri im Gegensatz zu 2018 und 2019 in diesem Jahr einen so talentierten Kader haben, dass die ersten vier Plätze absolut machbar wären. Zumal Juve und die Roma ebenfalls weit von ihrer Topform entfernt sind und mindestens genauso enttäuschen. Dennoch droht Milan zu versagen.
Fünf Spieltage haben die Rossoneri noch Zeit, um die Saison doch noch zu einem versöhnlichen Ende zu bringen. Doch die jüngste Form, verbunden mit Piolis teilweise grotesken Personalentscheidungen und einem fehlenden Plan B, lassen in dieser Hinsicht nichts Gutes erahnen.