Spielerin im Fokus: 90min-Gespräch mit Bayern-Abwehrchefin Glódis Perla Viggósdóttir
Von Alina Ruprecht
In der laufenden Frauen-Bundesliga Saison haben die FC Bayern Frauen nur drei Tore kassiert, das letzte davon vergangenen Oktober. Einen wesentlichen Anteil daran hat auch Innenverteidigerin Glódis Perla Viggósdóttir. Sie ist in den vergangenen Monaten zur Abwehrchefin avanciert und überzeugte wettbewerbsübergreifend.
Im exklusiven 90min-Interview spricht die isländische Nationalspielerin über ihre verantwortungsvolle Rolle auf dem Platz, ihre Entwicklung und die des Fußballs der Frauen.
"Es ist großartig zu wissen, dass unser Sport endlich für das anerkannt wird, was er ist und schon seit einer Weile war", sagt Viggósdóttir. "Wir wissen die zusätzliche Unterstützung und Aufmerksamkeit zu schätzen. Es ist großartig, ein Teil davon zu sein und zu sehen, wie schnell sich alles entwickelt. Ich hoffe, dass dieser Prozess noch lange nicht am Ende ist."
Die rasant gestiegene Beliebtheit des Fußballs der Frauen schlägt sich auch in den Zuschauerzahlen bei Spielen der FC Bayern Frauen nieder. Die ersten Heimspiele der Saison waren restlos ausverkauft, während zur Champions-League-Partie gegen den FC Barcelona im Dezember 24.000 Fans in die Allianz Arena strömten.
Das gestiegene Interesse an den Spielen bedeutet Viggósdóttir und ihren Mitspielerinnen viel: "Jede hat ihren Teil dazu beigetragen, um dorthin zu kommen, wo wir heute sind. Wir schätzen das sehr, weil es immer am schönsten ist, vor einem großen Publikum zu spielen." Lachend fügt sie hinzu, dass es bei manchen Partien so laut war, dass sie und ihre Team-Kolleginnen sich auf dem Platz kaum hören konnten.
Beim Rekord-Heimspiel gegen den FC Barcelona dürfte dies mit Sicherheit der Fall gewesen sein. In einer mitreißenden Partie besiegten die Münchnerinnen die favorisierten Gegnerinnen deutlich mit 3:1. Damit sorgten sie nicht nur für Schlagzeilen, sondern auch für grenzenlosen Jubel bei den Fans.
"Es ist schwer, das in Worte zu fassen", antwortet Viggósdóttir auf die Frage, wie sie das Spiel erlebt hatte. "Es war eine magische Nacht. Die Fans haben dazu beigetragen, dass eine unglaubliche Atmosphäre im Stadion herrschte. Sie haben uns zusätzliche Energie gegeben, dort raus zu gehen und Barcelona zu schlagen."
Das Team habe einen guten Spielplan gehabt, der an dem Abend sehr gut funktionierte. "Wir wollen gerne bald wieder in der Allianz Arena spielen und all das wiederholen", fügt die Innenverteidigerin hinzu.
Es war ein absolutes Highlight-Spiel für die Isländerin, die seit 2021 im Trikot des FC Bayern aufläuft. Während ihrer Anfangszeit in München musste sie sich jedoch erst an den deutschen Spielstil gewöhnen. Sie erklärt, dass in der deutschen Liga weniger im Raum und mehr am Gegenspieler orientiert gespielt wird. "In Duellen übernimmt man die Verantwortung für seinen Gegenspieler", fährt die Verteidigerin fort.
"Das ist etwas, dass ich entwickelt habe, seitdem ich beim FC Bayern bin. In 1 gegen 1 Situationen habe ich mich definitiv auch verbessert. Aber gleichzeitig konnte ich auch andere Perspektiven durch meine Erfahrung aus anderen Ligen einbringen." Vor dem Wechsel in die Frauen-Bundesliga spielte Viggósdottir in Island sowie in Schweden, wo sie mit dem FC Rosengard zweimal die Meisterschaft holte. Bei den Münchnerinnen ist sie mittlerweile eine unverzichtbare Führungsfigur in der Abwehr.
Wie würde die Isländerin sich selbst als Spielerin beschreiben? "Ich denke, ich verhalte mich recht clever auf dem Spielfeld", sagt sie. "Ich versuche immer, das Spiel gut zu lesen und fühle mich wohl am Ball. Ich bin gerne aktiv ins Spielgeschehen eingebunden, und meine Geschwindigkeit ist auch in Ordnung. Auf dem Rasen kommuniziere ich viel und versuche, dadurch meinen Mitspielerinnen zu helfen, weil das auch mir hilft, besser zu sein."
Ihre kommunikative Art und Weise auf dem Spielfeld speist auch ihre augenscheinliche Rolle als Abwehrchefin. Zusehens übernimmt sie mehr Verantwortung auf dem Platz und führt lautstark die Defensive an. "Ich war als Spielerin und Mensch schon immer so veranlagt", sagt Viggósdóttir dazu.
"Als ich zum FC Bayern gekommen bin, musste ich viel Neues darüber lernen, wie die Dinge hier laufen. Je besser ich mich eingelebt habe, desto wohler habe ich mich dabei gefühlt, meine Stärken zu zeigen und sie zum Vorteil des Teams zu nutzen. Durch unseren neuen Cheftrainer fokussiere ich mich jetzt noch mehr darauf, wie wichtig Kommunikation ist."
Das Amt wurde im vergangenen Sommer von Alexander Straus übernommen. Viggósdóttir beschreibt, dass er seitdem eine klare, taktische Herangehensweise an die Partien einbringe. Unter Straus habe das Team eine ausgeprägtere Identität dazu entwickelt, wie man sein sowie spielen wolle.
"Seine Spielidee hat uns mehr Selbstbewusstsein gegeben", führt die Isländerin aus. "Wenn wir beispielsweise am Ball sind, dann haben wir jetzt einen klaren Plan, wie wir ihn behalten. Wir wissen, dass wir ein Team mit viel Besitzphasen sein wollen, das auch viele Pässe spielt."
Wirft man einen Blick auf die bisherige Saison-Statistik, so scheint dieser Plan aufzugehen. Mit durchschnittlich 62,4 Prozent Ballbesitz je Partie (Quelle: FotMob) stellten die Münchnerinnen in der laufenden Spielzeit einen Bestwert auf. Auch in Sachen Passgenauigkeit stehen die FC Bayern Frauen an der Spitze. Im Durchschnitt spielt das Team 487,9 erfolgreiche Pässe (via FotMob) in einem Match.
Viggósdóttir selbst kommt auf 804 zielgenaue Pässe und eine Passgenauigkeit von stolzen 90 Prozent. Sie sieht großes Potenzial in dem Projekt, das Straus bei den Münchnerinnen angestoßen hat. Jedoch betont sie: "Vieles ist noch in Arbeit und nichts ist fertig. Wir haben als Team noch einen langen Weg vor uns, aber es ist ein aufregender Prozess."
Straus trainierte zuvor das norwegische Team SK Brann, das, ebenso wie die ehemaligen Vereine der Isländerin, von der skandinavischen Spielweise geprägt ist. Viggósdóttir wirft ein, dass ihre fußballerischen Stärken, auf Basis dieser Hintergründe, besser zur neuen Spielweise der FC Bayern Frauen passten. Deswegen übernehme sie in der laufenden Saison eine größere Rolle in den Spielen ihrer Mannschaft.
Der Cheftrainer der Münchnerinnen schickt, laut eigener Aussage, die Abwehr bevorzugt in einer Dreierkette auf das Spielfeld. Aufgrund mehrerer personeller Ausfälle war es ihm jedoch nicht immer möglich, in dieser Formation aufzustellen und vertraute stattdessen auf die bewährte Viererkette.
Viggósdóttir betont jedoch, dass sie ihre Stärken in beiden Systemen ausspielen kann. "Für mich ist eine Formation ein hilfreiches Gerüst und keine starre Vorgabe", erklärt sie. "Vor Straus war ich es natürlich mehr gewohnt, in einer Viererkette zu spielen. Aber bei meinen ehemaligen Vereinen in Schweden wurden oft Dreier- und Fünferketten genutzt."
"Für mich ist es am wichtigsten, mit welcher Grundeinstellung man Spiele generell angeht und nicht, in welchem System man die Spielerinnen aufstellt. Ich kann meine Qualitäten also in beiden Formationen beim FC Bayern zeigen, nur jeweils auf andere Art und Weise."
Nach einer intensiven Vorbereitungsphase, während der die Münchnerinnen auch in Katar und Mexiko trainierten, trifft die Mannschaft im nächsten Liga-Spiel auf Eintracht Frankfurt. Vor den Spielerinnen liegen herausfordernde Wochen, denn auch im DFB-Pokal sowie in der Champions League stehen die Viertelfinal-Partien an.
Viggósdóttir betont, das Team müsse sich jetzt voll und ganz auf sich selbst konzentrieren und nicht über die Konkurrenz nachdenken. In der Liga steht man derzeit mit 25 Punkten auf dem dritten Platz, hat jedoch ein Spiel weniger absolviert als die anderen Mannschaften. Wegen eines gefrorenen Spielfelds wurde der eigentliche Rückrunden-Auftakt gegen Turbine Potsdam abgesagt.
Die Meisterschaft ist in dieser Saison ein klares Ziel der FC Bayern Frauen, jedoch ist man sich des Rückstands auf den VfL Wolfsburg bewusst. "Wir sind gut genug, um die Liga zu gewinnen", sagt Viggósdóttir dennoch mit Nachdruck. "Wenn wir als Team jeden Tag und in jedem Spiel besser werden, dann wird uns das definitiv helfen, unsere Ziele zu erreichen."
Was müssen die Münchnerinnen in der Rückrunde besser machen? Welche Lehren haben sie aus den bisherigen Spielen der laufenden Saison gezogen? "Wir haben gelernt, dass wir jedes Spiel auf dieselbe Art und Weise angehen müssen", erklärt die Innenverteidigerin. "Wenn wir nicht bei 100 Prozent sind, geraten wir in Schwierigkeiten. Aber wenn wir unseren Spielplan gut ausführen, können wir brillanten Fußball spielen."
Auf diese Aspekte wird es auch ankommen, wenn die FC Bayern Frauen im März ihre Viertelfinal-Spiele in der Champions League bestreiten. Das klare Ziel lautet, ins Halbfinale des europäischen Wettbewerbs einzuziehen. Auf dem Weg dorthin gilt es jedoch zunächst, sich gegen Arsenal FCW, Chelsea FCW oder den VfL Wolfsburg durchzusetzen. "In einer Knockout-Phase kann alles passieren", sagt Viggósdóttir angesichts der herausfordernden Gegner und Spiele. "Wir werden all-in gehen und unser Bestes geben."
Am liebsten würde die Innenverteidigerin gegen eine der englischen Mannschaften spielen. In der Woche der Viertelfinals steht auch das Liga-Spiel gegen die Wölfinnen an. Trifft man auch in der Champions League auf sie, käme es innerhalb weniger Tage zu gleich drei Begegnungen beider Teams. "Es würde Spaß machen, gegen ein englisches Team zu spielen", gibt Viggósdóttir zu. "Das würde sich mehr nach einem Champions League-Viertelfinale anfühlen, als wenn es gegen Wolfsburg ginge."
Langfristig ist es das erklärte Ziel der Münchnerinnen, den Wettbewerb zu gewinnen und sich dauerhaft an der Spitze des europäischen Fußballs der Frauen zu etablieren. Laut der isländischen Abwehrspielerin hat die Mannschaft alles, was es braucht, um dies zu schaffen. "Es geht jetzt darum, alle Puzzle-Teile auf und neben dem Platz richtig zusammen zu fügen", erklärt sie.
In ihrer Heimat Island wurde sie jüngst als 'Spielerin des Jahres 2022' ausgezeichnet. Auf die Auszeichnung ist sie stolz, betont aber, dass sie Erfolge wie diesen ohne ihre Mitspielerinnen und Trainer nicht erreichen könnte. "Fußball ist ein Team-Sport und es ist mein größtes Ziel, mit der Mannschaft Titel zu gewinnen."
Auch in Island wird der Fußball der Frauen immer beliebter. Längst sind Viggósdóttir und ihre Kolleginnen aus der Nationalmannschaft zu Vorbildern für die nächste Generation geworden. "Das ist eine großartige Sache und wir geben unser Bestes, um junge Mädchen zu inspirieren und den Weg für sie zu ebnen", sagt sie. "Wir müssen ihnen zeigen, dass sie große Träume haben können und erreichen können, was immer sie wollen. In der Vergangenheit haben wir ihnen bereits einige Türen geöffnet und ich hoffe, dass wir das auch in Zukunft weiterhin tun können."
Welche Ziele hat die Verteidigerinnen sonst für die nächsten Monate und Jahre? "Natürlich will ich mit dem FC Bayern die Bundesliga und auch den DFB-Pokal gewinnen, daran hat sich nichts geändert", sagt Viggósdóttir abschließend. "Jede im Team träumt auch davon, die Champions League zu gewinnen. Ich betrachte diese Dinge von Spiel zu Spiel, von Tag zu Tag, aber das sind die größten Ziele und Träume."
"Für mich geht es darum, jeden Tag sowohl als Team, als auch als individuelle Spielerin besser zu werden."
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