90min diskutiert: Pro oder Contra Geisterspiele?!
Die vierte Corona-Welle bricht und spaltet mal wieder die Meinungen innerhalb der Gesellschaft - so auch im Fußball. Satte 17 Monate hatte es in der Bundesliga Geisterspiele gegeben. Seit August sind die Fans zurück in den Stadien. Nun stehen die nächsten zuschauerlosen Spiele auf dem Programm. 90min diskutiert, ob und inwiefern Geisterspiele bundesweit Sinn ergeben.
Pro: Flächendeckende Geisterspiele als wichtiges Signal
Klar, der Fußball ist keinesfalls Pandemietreiber Nummer eins. Die Menschen infizieren sich nicht oder kaum an der frischen Luft im Stadion. Doch das Drumherum ist das Problem. Die Anreise mit dem vollbesetzten Bus oder der Deutschen Bahn, die aus allen Nähten platzt. Das Bier danach in der Kneipe, am Kiosk um die Ecke oder sonst wo.
Hier tummeln sich abertausende Menschen, dicht an dicht. Auch jene, die zuvor nicht im Stadion waren und entsprechend keinen 2G(+)-Nachweis erbracht haben. Anreise, Abreise, die Feier danach: das sind die wahren Infektionsherde am Bundesliga-Spieltag.
Und genau die sind eben kaum vermeidbar. Für viele ist klar: Szenen wie am vergangenen Samstag in Köln, wo 50.000 Fans masken- und abstandslos feierten, sollen und dürfen sich im nächsten, harten Corona-Winter nicht wiederholen. Dafür plädieren auch zahlreiche Politiker. Aktuell herrscht ein wettbewerbsverzehrender Flickenteppich: Geisterspiele in Sachsen, volle Bude in NRW. Das muss sich ändern.
"Während alles andere wieder herunterfährt, sollte keine große Schar an Menschen ins Stadion strömen."
- Marc Knieper, 90min-Autor
Der Fußball darf nicht wieder in eine Sonderrolle schlüpfen. Vollständige und flächendeckende Geisterspiele wären ein richtiges und wichtiges Signal innerhalb der Gesellschaft. Während alles andere wieder herunterfährt, sollte keine große Schar an Menschen ins Stadion strömen.
Natürlich kann auch eine Mini-Menge an Zuschauern zugelassen werden, wie etwa am Samstag im Rostocker Ostseestadion. 1.000 Fans dürfen den Zweitliga-Kick gegen Ingolstadt begutachten - de facto ein Geisterspiel. Einheitlich und überall alle Stadien-Tore zu schließen wäre der bessere Weg.
Bereits am vergangenen Spieltag fiel auf, dass zuschauerstarke Bundesligisten wie Bayern München und Eintracht Frankfurt ihre Arenen trotz reduziertem Kontingent nicht ausschöpften. Die Fans haben keine Lust auf die immer größer werdenden Hürden. Ein 2G-Nachweis samt Test ist für viele zu viel. Gefühlte zehn Jahre am überfüllten Testzentrum anstehen, nur um gemeinsam mit einer Handvoll anderer Fans im nasskalten und emotionslosen Stadion zu sitzen? Nein danke.
- ein Kommentar von Marc Knieper
Contra: Geisterspiele wären unwirksamer und unnötiger Holzhammer-Populismus
Fast zwei Jahre nach Pandemiebeginn und etwa ein Jahr nach Start der Impf-Kampagne in Deutschland - wenn man sie denn so nennen möchte - sind Geisterspiele für den deutschen Profifußball mal wieder ein Thema. Was traurig und angesichts der Vorbereitungszeit, die auch in diesem Sommer ins Land gezogen ist, eigentlich auch unnötig klingt, ist damit so präsent wie seit dem Frühjahr 2020 nicht mehr.
Immer wieder wird dieser Tage seitens einiger Politiker gefordert, volle Stadien seien nicht vermittelbar. Zwischen gänzlich leeren Arenen und Stadien, die bis unters Dach befüllt sind, liegt ein himmelweiter Unterschied. Genau auf diesem müsste nun das Hauptaugenmerk liegen, und nicht auf der populistischen Forderung, es dürfe niemand mehr zum Schauen reingelassen werden.
"Wer nachhaltig Infektionen und die Belastung der Krankenhäuser senken möchte, der wird mit Stadion-Schließungen gar nichts erreichen. "
- Yannik Möller, 90min-Autor
Über Signalwirkungen sollten wir im heutigen Diskurs dieser Pandemiebekämpfung hinaus sein. Tun, was wirklich hilft, anstatt Dinge zu verbieten, die sich vielleicht gut aussprechen und vor allem aus dem Süden des Landes vollmundig fordern lassen. Wer nachhaltig Infektionen und die Belastung der Krankenhäuser senken möchte, der wird mit Stadion-Schließungen gar nichts erreichen.
Auch als Begleiterscheinung mitsamt anderen Maßnahmen wäre dies nicht zu vertreten. Was spricht gegen eine anteilige Auslastung der Stadien mit 2G-Regel? Womöglich sogar mit zusätzlichem Test. Sitznachbarn beispielsweise nur mit Angehören des eigenen Haushalts, mehrere Meter Platz zum nächsten Fan. Sicherer wäre ein solches Konzept auch im nächsten Sommer nicht. Und wer nicht will, der hat schon. Aber es sollte diese Option geben, denn es bedarf einer verdammt guten, epidemiologischen Begründung, weshalb dies nicht zu vertreten ist – und nicht andersherum!
Bei einer solchen Teil-Auslastung, die sich an den Geschehnissen vor Ort orientieren könnte und auch sollte, gäbe es auch keine nennenswerte Überbelastung von Bus und Bahn. Da wäre jeder Pendlerverkehr (zweimal pro Tag!) gefährlicher - und da hat sich in Deutschland mit Homeoffice auch noch fast gar nichts getan.
Zuletzt war in einer Auswertung zu lesen, nach dem Stadionbesuch von etwa 3,8 Millionen (!) Menschen nach elf Erstliga- und dreizehn Zweitliga-Spieltagen habe es im Nachhinein zehn positive Tests gegeben. Von den angegebenen Kontakten im Stadion sei nicht eine Infektion erfolgt. Das ist in Zeiten stark steigender Fallzahlen natürlich mit Vorsicht zu genießen. Dennoch zeigt es, wie sicher dann Fußballstadien wären, würden sie mit einer Teil-Auslastung besetzt bleiben.
Es ist nun nicht die Zeit, die Fußballfans zu den öffentlichen Sündenböcken dieser Pandemie und dieses bislang schlimmen Corona-Winters zu machen. Derbe Sprüche dazu lassen sich zwar gut vermarkten, sie bringen einen auf so manche Titelseite. Das ist aber nicht das, was die Pandemiebekämpfung nun braucht. Es braucht Maßnahmen, die etwas bewirken - nicht welche, durch die man sich nur besser fühlt.
- ein Kommentar von Yannik Möller