90min diskutiert: Ist Florian Kohfeldt noch der richtige Mann für Werder Bremen?

Christian Kaspar-Bartke/Getty Images
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Der SVW gerät gen Ende der Saison doch noch einmal in die Bredouille. Das Glas, vor einigen Wochen noch halb voll, leert sich munter weiter. Der Abstand auf die Abstiegsränge schmilzt. Auch im Lager der Fans scheiden sich die Geister. Schaut man auf eine Umfrage des Fan-Portals worum.org, so wünscht sich die Mehrheit der 741 Teilnehmenden das Aus ihres Cheftrainers.

Ist Florian Kohfeldt auch für die kommende(n) Spielzeit(en) der richtige Mann für den SV Werder? Was spricht für, was gegen den Bremer Übungsleiter? 90min diskutiert:


Pro: 100% Grün-Weiß und „noch unterwegs“


Damals Fan, heute Trainer. Damals Block 51, heute Chefsessel. Damals Bremenliga, heute Bundesliga. Florian Kohfeldt lebt Werder Bremen – durch und durch. Seit knapp 20 Jahren trägt er ununterbrochen das grün-weiße Hemd.


Als Torhüter wechselte er 2001 aus Delmenhorst zu Werder III. Nach acht Jahren zwischen den Pfosten startete seine Reise schließlich auf den Trainerstühlen der Bremer Jugend- und Reserveteams. Bereits im Alter von 26 Jahren assistierte er als Co-Trainer unter Viktor Skripnik und ging dabei den exakt gleichen Weg wie sein ukrainischer Lehrmeister – über Werders U17 und U23 auf die große Fußballbühne.


Ende 2017 beförderte man den besten Fußballlehrer seines Jahrgangs zum Cheftrainer am Osterdeich. Mittlerweile stand Kohfeldt in 136 Pflichtspielen für Grün-Weiß an der Seitenlinie, sein Punkte-pro-Spiel-Schnitt liegt bei 1,39 Punkten. Zum Vergleich: Vorgänger Alexander Nouri kam auf 1,3 Punkte, Viktor Skripnik auf 1,31, Robin Dutt auf magere 1,02 und Erfolgscoach Thomas Schaaf in 644 (!) Partien auf 1,65 Punkte.

Werder Bremen v FC Augsburg - German Bundesliga
Alex Nouri schaffte vor Kohfeldt den Sprung von der U23 zu den Profis / Soccrates Images/Getty Images


Damit befindet sich Kohfeldt statistisch zwar unter dem Punkteschnitt der wirklich erfolgreichen Coaches, fuhr in der Vergangenheit aber dennoch genügend Punkte ein, um (zuletzt im vergangenen Jahr) die Klasse zu halten. Denn, was man am Osterdeich sicher nicht vergessen darf, sind die begrenzten (finanziellen) Mittel, die dem Chefcoach zur Verfügung stehen.


Vom Kampf um das internationale Geschäft darf in Bremen ohnehin kurz- und mittelfristig nicht die Rede sein. Stattdessen möchte man sich langfristig anpassen. Der in der Vergangenheit häufig geforderte Umbruch wurde mit der radikalen Verjüngungskur des vergangenen Sommers, in dem ganze sechs Oldies weichen mussten, längst eingeläutet - und Kohfeldt beschreitet diesen Weg gemeinsam mit seinem Herzensklub. Trotz großer Personallücken und der noch immer nicht kompensierten Baustelle im defensiven Mittelfeld sucht Kohfeldt die besten Wege, eine frische, junge Truppe zu formen. Sein angestrebter Weg eines attraktiven Offensivfußballs blieb ihm zwar bis dato verwehrt, die defensive Konstanz des Teams verbucht indes einen starken Zuwachs.

Erfolge, auf die der Übungsleiter langsam aber sicher aufbauen möchte. Junge Spieler wie Josh Sargent, Romano Schmid, Felix Agu und Jean Manuel Mbom werden von Kohfeldt weiterhin stark gefördert. Zehn Spieler der Profimannschaft sind 22 Jahre oder jünger. Dass sich die Automatismen im Bremer Spiel somit nur langsam festigen, ist allein anhand der bedingten Routine und Erfahrung dieses jungen Teams selbsterklärend.

"Durch die Adern des Bremer Coaches fließt grün-weißes Blut"

Marc Knieper, 90min-Autor


Werder braucht Geduld! Und die hat man in Bremen - zumindest im Aufsichtsrat. Denn dass Werder auch die kommende Saison mit Kohfeldt (Vertrag bis 2023) beschreitet, scheint sehr wahrscheinlich. Durch die Adern des Bremer Coaches fließt grün-weißes Blut. Kohfeldt identifiziert sich zu 100 Prozent mit Werder Bremen und ist somit Teil der in Bremen gerne angesprochenen, loyalen Werder-Familie. Trotz extrem schwieriger Phasen hielt und hält diese Familie in Bremen immer zusammen - und stets auch an Trainer Kohfeldt fest.


Und das auch völlig zurecht! Denn Florian Kohfeldt ist noch lange nicht fertig mit seiner Mission. Genau wie im letzten Jahr, so gelingt es ihm auch dieses Mal, das Ruder im Kampf um den Klassenerhalt herumzureißen und den Abstieg zu umschiffen. Anschließend möchte er seinen Klub langfristig auf Kurs bringen. Aus seinen Jungspunds möchte der 38-Jährige gestandene Bundesliga-Profis formen. Wichtig ist dabei, dass er seine Jungs stetig und ständig erreicht. Besonders gen Ende der Saison dürfen die Grün-Weißen nun keineswegs die Köpfe in den Sand stecken. Wie stark die Bindung zwischen Trainer und Mannschaft derzeit ist, zeigt sich somit in den kommenden Wochen.

Maximilian Eggestein, Florian Kohfeldt
Kohfeldt spricht mit seinem Liebling Maxi Eggestein / Stuart Franklin/Getty Images


Dass mit Kohfeldt ein langfristiger und im Zeitalter des auf Talente fokussierten Jungspund-Fußballs engagierter Trainer an der Seitenlinie steht, der trotz Schwierigkeiten einen langfristigen Plan verfolgt und von diesem trotz zahlreicher Kritik auch nicht abweicht, halte ich in Zeiten des Umbruchs genau für richtig. Gerade in der aktuellen Pandemie-Zeit wäre ein Trainerwechsel „auf halbem Weg“ der falsche Schritt.

Contra: Kohfeldt ist seinem Herzensklub entwachsen

Als Werder-Sympathisant und großer Fan von Florian Kohfeldt fällt es mir nicht leicht, die gegenüberstehende Meinung zu vertreten. Man muss sich jedoch eingestehen, dass die Zusammenarbeit zwischen Kohfeldt und Werder Bremen derzeit stagniert und die Formkurve nach unten zeigt.

Nach einem furiosen Start und einem Angriff auf Europa, der durch herausragende Spieler wie Max Kruse befeuert wurde, findet sich Kohfeldt nun mit einer jungen Mannschaft wieder, die nicht viele Ausnahmekönner vorweist. Dieser Umstand zwingt den offensivverliebten Trainer dazu, eine ihm zuvor fremd erscheinende Defensiv-Taktik zu wählen, die Werder auf absehbarer Zeit nicht ablegen wird.

Kohfeldt wird durch Bremens finanzielle Schwierigkeiten und schmerzhafte Abgänge dazu gezwungen, langfristig einen Spielstil anzuwenden, der nicht seinem Trainer-Charakter entspricht. Der Delemnhorster spricht oft von der spannenden Aufgabe, junge Spieler bei der Entwicklung zu helfen und diese zu Bundesliga-Profis zu formen, dies sollte jedoch nicht die Hauptaufgabe eines Bundesliga-Trainers sein.

Ein Bundesliga-Trainer, vor allem, wenn er so talentiert wie Kohfeldt ist, sollte sich eher damit beschäftigen, einer hochqualitativen Mannschaft auf lange Sicht einen Spielstil beizubringen und somit eine Teamkultur aufzubauen. Als Trainer will man einer Mannschaft den eigenen Stempel klar aufdrücken und auf dem Feld deutlich machen, dass es sich da um eine selbstgeformte Mannschaft handelt. Seit der letzten Saison spielt Kohfeldt aber nur noch den Feuerwehrmann.

"Das stärkste Argument für eine Neuausrichtung ist die Arbeit von Frank Baumann"

Tal Lior, 90min-Redakteur

Kohfeldts Loyalität, vor allem gegenüber seinem Vorgesetzten Frank Baumann, ist vorbildlich und für Werder-Fans ein wahrer Segen. Der 38-jährige Coach sollte jedoch nach nun über dreieinhalb Jahren den nächsten Schritt wagen und zu einem Klub wechseln, der ihm das Spielermaterial für seine anvisierte offensive Spielweise zur Verfügung stellen kann.

Aus Werders Sicht wäre es ebenfalls vielleicht sinnvoll, einen neuen Weg einzuschlagen. Kohfeldt hat ein sehr gutes Verhältnis zur Mannschaft und wirkt manchmal mit den Spielern sogar zu freundschaftlich. Er versucht diesem Eindruck oft aktiv mit öffentlicher Kritik entgegenzuwirken, Kohfeldt scheint aber immer noch vielen Akteuren zu nahe zu stehen - wenn man das überhaupt als Problem ansehen will, worüber lange in einem anderen Artikel diskutiert werden kann.

In Werder-Kreisen wird deshalb oft nach einer außenstehenden Person gefordert, die die Lage des Klubs nüchtern und ohne sentimentale Anhänglichkeit betrachten soll. Dies wird vor allem in Verbindung mit Frank Baumann angesprochen, doch auch auf dem Trainerposten könnte solch eine Perspektive guttun.

Frank Baumann
Sollte Werder Bremen langfristig mit Frank Baumann weitermachen? / Cathrin Mueller/Getty Images

Zum Schluss möchte ich das stärkste Argument für eine Neuausrichtung liefern, das Kohfeldt nicht mal direkt betrifft. Frank Baumann arbeitet seit eineinhalb Jahren auf Bewährung und rettet sich immer wieder dank Florian Kohfeldts Arbeit. Fachmänner wie Rouven Schröder, Michael Reschke, Erik Stoffelshaus und Co. könnten neue Ideen bei der Kaderplanung einbringen, zugleich müsste man für sie aber wohl auch den Trainer-Posten zur Neubesetzung zur Verfügung stellen.

Spätestens 2022 sollte Baumann seinen Posten bei Werder räumen. Dem 45-jährigen Ex-Spieler sind die Ideen ausgegangen. Um nicht permanent weiter um den Klassenerhalt zu spielen und wie der HSV in der 2. Liga zu landen, muss sich schleunigst in der Führungsriege etwas ändern. Kohfeldt wäre bei solch einer Revolution leider der Kollateralschaden.