Der abkippende Sechser: Was ist das eigentlich?

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Im Bereich der Fußball-Taktik gibt es modern anmutende Begriffe, die so manchen Zuschauer und Fan zum Grübeln bringen. Einer davon ist der sogenannte abkippende Sechser. Was ist das eigentlich, was macht der, weshalb macht er das, wohin kippt er überhaupt ab und tut das nicht auch weh?

Abkippender Sechser, Halbraum, das Gegen-den-Ball-Arbeiten. Begriffe, die man heutzutage in so gut wie jeder Fußballübertragung hört. Für viele Zuschauer und Fans sind das Begriffe, die zum Fußball dazugehören wie der Ball und der grüne Rasen. Für andere ist es eine Art kleines Rätsel, was damit jeweils gemeint ist oder warum man diese offenbar neumodischen Bezeichnungen benötigt. 

Das Konzept des abkippenden Sechsers: Mag kompliziert klingen, ist aber schnell verstanden

Über die letzten Jahre hat der sogenannte abkippende Sechser stark an Bekanntheit dazugewonnen. Während sich manch einer darüber lustig macht und meint, beim Zusehen eines Spiels wäre er durch das Abkippen seiner Bierflasche in den Mund auch Teil eines taktisch versierten Zuges (Wortspiel nicht beabsichtigt!), ist es für andere die ganz normale Bezeichnung für das taktische Verhalten von einem der zehn Feldspieler. Wir wollen diesen Begriff etwas erklären, so verständlich wie möglich.

Was der Sechser ist, ist soweit klar und selbsterklärend. Es ist der defensive Mittelfeldspieler, oder einen von zweien, die für die Spielkontrolle verantwortlich sind. Sie bauen das eigene Spiel auf, setzen die Mitspieler in Szene, helfen vielseitig in der Defensive mit. Sie haben alle ihre Mitspieler im Blick und müssen somit eine gute Übersicht und Eigenverantwortung aufweisen. Abkippen bedeutet in der Taktiktheorie zunächst nichts anderes als das Fallenlassen, als das Zurückrutschen in die Verteidigung - eine Reihe tiefer, sozusagen. 

In seiner Zeit beim FC Bayern ließ Pep Guardiola den abkippenden Sechser öfter umsetzen

Das Ziel dieser Aktion ist im Grunde immer das Herstellen einer Überzahlsituation bei Ballbesitz. Man gerät weniger unter Druck, hat eine zusätzliche Anspielstation und weitere Möglichkeiten, wie man das eigene Aufbauspiel aus der letzten Reihe forcieren und gestalten kann. Sehr häufig ist dies aus der defensiven Grundformation einer Vierer-Abwehrreihe der Fall. Die beiden Außenverteidiger - vor allem im modernen Fußball - rücken an der Außenlinie hoch und weit vor. Ein Grund, weshalb offensiv denkende Außenverteidiger wie Alphonso Davies so begehrt und wichtig sind, wenn man sie richtig einsetzt. 

Die beiden Innenverteidiger rücken ebenfalls ein Stück weiter nach außen, und der defensive Mittelfeldspieler lässt sich zwischen diese beiden fallen. Schon hat man einen abkippenden Sechser, der die defensive Grundformation in eine Art Dreierkette umformt. So hat man drei Spieler, über die man den Aufbau starten und wechseln kann. Damit geht man auch gegen das gegnerische Pressing vor, wenn der Gegner mit einem Stürmer und einem offensiven Zehner beispielsweise, oder mit zwei Stürmern anläuft. Durch die manuell hergestellte Überzahl ist die Gefahr, unter Druck zu geraten und womöglich keine Anspielstation zu finden, deutlich geringer. 

Spielstarke Torhüter wie Manuel Neuer oder Marc-André ter Stegen können dazu ebenfalls helfen, um in der Defensive bei Ballbesitz Überzahl zu schaffen. Ajax Amsterdam nutzt den Torhüter Andre Onana ebenfalls häufig in dieser Rolle, teils weit vor dem eigenen Tor, wie man es noch vor wenigen Wochen gegen Getafe in der Europa League beobachten konnte.

Überzahl, Veränderung der Staffelung und Gegenmittel zur Manndeckung: Vorteile, aber auch Nachteile

Neben der anvisierten Überzahl hat das Abkippen eines Sechsers jedoch noch andere Vorteile, aber natürlich auch Nachteile. Mannschaften, die mit Manndeckung agieren - vor allem auf den Flügeln -, können so ausgespielt werden. Entweder es entstehen zentral wichtige Räume, oder die Seiten werden geöffnet. So oder so ist es das Ziel, Sicherheit durch Überzahl herzustellen und den eigenen Spielaufbau zu erleichtern. Durch diese Bewegung kann auch die taktische Herangehensweise als solche flexibel umgestellt werden. 

Mit der neu gebildeten Dreierkette in Ballbesitz und den hoch agierenden Außenverteidigern hat man viele Anspielstationen, die nur schwer zu decken oder abzulaufen sind. So wird auch ein eigentlich offensives 3-4-3 zu einer möglichst sicheren Variante.

Auch David Wagner lässt Omar Mascarell häufig zwischen die Innenverteidiger fallen

Ein großer Nachteil kann es sein, wenn das Mittel des abkippenden Sechsers zur Routine gehört und bei so gut wie jedem Ballbesitz angewendet wird. Dann ist diese Variante schlicht zu berechenbar und einfach zu kontern. Bei Ballverlust des Sechsers erhöht sich zudem die Gefahr, in einen Konter zu laufen, da die Innenverteidiger nicht wirklich zentral stehen und somit - je nach Pressing - eine gegnerische Überzahlsituation kurz vor dem eigenen Sechzehner entstehen kann. Sollte im Mittelfeld auch noch zu wenig Bewegung herrschen, zu wenig Kreativität vorhanden sein, schiebt sich die Dreierkette minutenlang den Ball zu. 

Prominente Beispiele dieser Rolle sind u. a. Xabi Alonso, der unter Pep Guardiola beim ​FC Bayern häufig so agierte, oder auf diese Saison bezogen auch Omar Mascarell von ​Schalke 04. Beide arbeiteten mit diesem Grundgedanken, der jedoch natürlich nicht immer gleich aufgebaut und an das gleiche Ziel gekoppelt sein muss.