Rassismusvorfall im Spiel Schalke 04 gegen Hertha BSC: Wann stehen wir endlich auf?

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Das Spiel ​Schalke 04 gegen ​Hertha BSC wurde von einem​ neuerlichen Rassismusvorfall überschattet​. Beide Seiten äußerten daraufhin nach der Partie ihre Betroffenheit. Das ist richtig, doch genauso wichtig sollte es sein, darüber zu entscheiden, was passieren muss, um solche Fälle zu verhindern. Wann stehen wir endlich auf?

Als Jordan Torunarigha in der 100. Minute des Spiels mit Gelb-Rot vom Platz geschickt wurde, war dies zwar durchaus eine strittige Entscheidung, doch es gab definitiv genügend Argumente, die die Entscheidung des Unparteiischen Harm Osmers zumindest vertretbar machten. Was war passiert?

An der Seitenauslinie vor der Schalker Auswechselbank setzte S04-Mittelfeldspieler Omar Mascarell zu einer aggressiven Grätsche gegen Torunarigha an. Dieser stürzte daraufhin in die Beine von Schalke-Trainer David Wagner und schmiss anschließend wutentbrannt eine Flaschenkiste zu Boden. Konsequenz: Der bereits mit Gelb vorbelastete Berliner sah die nächste Gelbe Karte und so folgerichtig auch die Rote, die seinen Arbeitstag vorzeitig beendete. 

So weit so gut. Sind das doch die oft erwähnten Emotionen, die wir uns im Fußballsport wünschen, oder etwa nicht? Ob der Spieler daraufhin eine Karte sieht oder nicht bleibt ja letztendlich nur eine Randnotiz und ist in wenigen Tagen auch schon wieder vergessen.

Torunarigha: Nicht wütend, sondern verzweifelt

​Was jedoch nach dem Spiel publik wurde, macht das ganze dann doch brisanter, und auch schwieriger einzuordnen. Der bestrafte Torunarigha war scheinbar schon vor der Verlängerung rassistisch beleidigt worden. Mehrere Zeugen, darunter auch Hertha-Trainer Jürgen Klinsmann - der Schiedsrichter Harm Osmers laut eigener Aussage bereits vor der Verlängerung darauf aufmerksam machte - hatten Affenlaute in Richtung des 22-Jährigen schallen hören. Klinsmann habe seinen in Tränen aufgelösten Schützling daraufhin bereits nach den ersten 90 Minuten trösten müssen. Keine guten Voraussetzungen, um in einem sowieso schon emotional aufgeladenen Pokalspiel Ruhe zu bewahren.​

Doch um Ruhe zu bewahren, ist dies auch definitiv nicht der richtige Zeitpunkt. Denn hier beginnt die viel beschworene und auch geforderte Professionalität eines Spielers, mit seiner Persönlichkeit und seinen Erfahrungen zu kollidieren. Eine stupide Aktion einiger Fans signalisiert dem Betroffenen: Du bist hier kein Mensch für uns. Und in dem Rahmen, den der Fußball uns bietet, können wir mit dir machen, was wir wollen! Ein junger Mensch, der Torunarigha eindeutig ist und der sich in seiner persönlichen Entwicklung befindet, wird hier verunmenschlicht und zeigt daraufhin eine nur menschliche Reaktion: Wut, Verzweiflung,Trauer, Resignation. Dass er dafür dann vom Platz gestellt wird ist dem Regelwerk geschuldet, zeigt jedoch ein markantes Problem auf: Was tun wir, wenn sich Regelwerk und Menschlichkeit gegenüberstehen? 

Hatte nach dem Spiel viel zu besprechen: Hertha-Trainer Jürgen Klinsmann

Sofern Harm Osmers tatsächlich von den Vorfällen gewusst haben sollte, hätte er hier durchaus eine andere Lösung finden können. Denn natürlich ist es löblich, wenn in den nächsten Spielen die Mannschaften wieder mit "no-to-racism"-Bannern auf den Rasen laufen, doch entscheidend ist, was dann die Aktiven auf dem Platz daraus machen. Und dazu gehört auch der Schiedsrichter. Osmers hätte in dieser Situation die Chance gehabt, ein klares Zeichen zu setzen. Spiel unterbrechen; beide Mannschaften und vor allem den Angefeindeten zusammentrommeln; die Sachlage klären und dann gemeinsam entscheiden wie es weitergeht. Das wäre nicht nur ein Bild mit Symbolwert gewesen, sondern tatsächlich auch eines mit gesellschaftlicher Tragweite.

Torunarigha-Vorfall zeigt: Es geht uns alle an!

Viel zu oft wird das Gefühl vermittelt, dass man sich als weißer Mitteleuropäer darauf ausruhen kann, dass die Betroffenen das schon selber regeln können, indem sie den Platz in diesen Situation verlassen oder zu ähnlichen Maßnahmen greifen. Was aber auch transportiert wird ist, dass wir unsere Mitmenschen allein lassen. Mitleidsbekundungen hin oder her. Wenn wirklich etwas verändert werden soll, dann muss man auch mal bereit dazu sein, finanzielle Verluste oder ein schnödes Weiterkommen im Pokal zu riskieren. Die richtigen Maßnahmen, um ein Zeichen zu setzen, sind nicht inzwischen inflationär gewordene Statements der Kluboffiziellen, die sich aus ihren Logen heraus gezwungen sehen, schnellstmöglich auf einen Vorfall zu reagieren, um auf keinen Fall selbst mit Rassismus in Verbindung gebracht zu werden.

Wirkliche Veränderung und vor allem Unterstützung, Geschlossenheit bedeutet, auch mal einen gesamten Spieltag ausfallen zu lassen. Zu sagen: "Ey, wir gehören zusammen und wenn jemand meint, sich derart inakzeptabel zu verhalten, dann treten wir auch nicht an." Denn letztendlich ist das Gefühl, dass Torunarigha vermittelt wird, folgendes: Wir verstehen zwar deine Situation, aber im Rahmen des Sports bestrafen wir dich trotzdem dafür. Das ist ein verheerendes Signal an alle, die sich auch weiterhin derart abwertend in den Stadien und auch außerhalb des Sports verhalten wollen. In den letzten Wochen wurde viel über die Wirkung des Profifußballs auf niedrigere Ligen und den Amateurbereich gesprochen und auch darüber, was für ein Vorbild man für Jugendliche sein möchte. Dieses Ereignis wäre prädestiniert gewesen, um wirklich ein Zeichen zu setzen, frei nach dem Motto: Fußball ist Emotion, aber hier ist die Grenze!

Letztendlich liegt es in unser aller Verantwortung, endlich aufzustehen. Und zwar nicht nur Zuhause vor dem Fernseher, sondern auch in unserem persönlichen Umfeld. Denn wenn sich ein Großteil der Nation darüber echauffiert, dass ein Alexander Gauland einen Jerome Boateng nicht gern als Nachbarn hätte, dann reicht es nicht aus, sich darüber aufzuregen und auf Facebook sein "we-want-Jerome" ins Internet zu tippen, denn in Zeiten der sozialen Medien hätten gerade in der jüngeren Generation sicher viele diesen liebend gern als Nachbarn. Entscheidend ist eben, diesen dann auch mal zum Kaffee einzuladen und sich nicht nur mit seinem Namen zu brüsten.

Und so bleibt nur die Hoffnung, dass die Verantwortlichen in der Bundesliga und auch beim DFB hier mal entschiedener die Reißleine ziehen und den Vorfall nicht wieder einen von vielen werden lässt. Am Ende betrifft es uns alle. Wann stehen wir endlich auf?