VAR-Ärger: Der Videobeweis tritt auf der Stelle

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​Und täglich grüßt das Murmeltier. Nachdem der Videobeweis im gestrigen Bundesligaspiel zwischen dem FC Schalke 04 und Union Berlin eine glasklare Schwalbe im königsblauen Strafraum übersah, kochen bei den deutschen Fußballfans wieder einmal die Emotionen hoch. Der gestrige Fauxpas des VAR sorgt für abermalige Diskussionen über dieses Projekt. Was bringt der Videobeweis eigentlich noch?

Rückblick auf das Freitagabendspiel: Der ​FC Schalke führt nach knapp 35 Minuten mit 1:0, als der Unioner Robert Andrich im gegnerischen Strafraum über das vermeintlich ausgestreckte Bein von Schalkes Matija Nastasic fällt. Die Zeitlupenaufnahme macht deutlich, dass Nastasic zwar auch nicht den Ball, aber vor allem nicht den Gegenspieler trifft. Andrich ließ sich also zu einer klassischen Schwalbe hinreißen. Statt der gelben Karte für den Mittelfeldspieler gab es allerdings Elfmeter für ​Union, welchen Marcus Ingvartsen sicher verwandelte.

Schiedsrichter Daniel Schlager entschied in dieser Situation schnell auf Elfmeter; zur Not, so sicher der Hintergedanke, könne sich ja der VAR einschalten und die Sache auflösen. Mit Sicherheit bestand auch ein Kontakt zwischen Schlager und dem Kölner Keller, doch weder forderte die Abteilung dort den Elfmeter zurück, noch schickte sie Schlager in die Video-Area neben dem Platz, damit dieser sich selber ein Bild machen kann. Es blieb bei der Elfmeterentscheidung, zurück blieben neben den jubelnden Unionern jede Menge ratlose Gesichter.

Wieder einmal griff der Videobeweis folglich ins Leere. Zwar blieb die Entscheidung gestern punktetechnisch ohne Folgen - Schalke gewann am Ende mit 2:1 -, allerdings wird abermals über den Sinn des VAR gemosert. Nicht das erste Mal zeigte sich der Videobeweis undurchschaubar, inkonsequent und schlicht falsch. Nicht nur bei der Bewertung von Foulspielen, auch bei der Handspielregelung.

Der 9. Spieltag als Horrorbeispiel für den VAR

Ein Blick zurück zum neunten Spieltag zeigt, wie willkürlich Szenen, in denen die Hand im Spiel war, bewertet werden. In der Partie ​Mainz 05 gegen den 1. FC Köln sprang der Ball im Mainzer Strafraum an den ausgestreckten Arm von 05-Verteidiger Moussa Niakhate - im Grunde ein klarer Handelfmeter. Oder etwa doch nicht? Der Pfiff blieb aus, und trotz Sichtung der Bilder in der Video-Area beließ es Schiri Frank Willenborg bei dieser Entscheidung.

Im Spiel zwischen ​Bayer Leverkusen und Werder Bremen - am selben Spieltag - kam es sogar zu zwei fraglichen Situationen. Zunächst bejubelte Bayer 04 den vermeintlichen 3:2-Führungstreffer, jedoch wurde das Tor nach Eingriff des VAR zurückgenommen, da Leverkusens Nadiem Amiri bei der Vorbereitung des Tores mit dem Arm den Ball berührt haben soll. Problem: Amiris Arm lag am Körper beziehungsweise vor der Brust an, also weder wurde die Körperfläche vergrößert noch gab es eine aktive Bewegung zum Ball. Dennoch wurde es als Handspiel abgepfiffen, da dem Handspiel ein Tor folgte.

Und auch auf Bremer Seite gab es Diskussionen. In der Nachspielzeit grätschte ein Leverkusener, ironischerweise wieder Amiri, im Leverkusener Strafraum in eine flache Flanke hinein und bekommt den Ball wieder an den aufgestützten Arm. Ein Pfiff gab es keinen, auch wenn sich Leverkusen über diesen nicht hätte beschweren dürfen. Doch tatsächlich schaltete sich auch hier der VAR ein, alle erwarteten nun das Zeigen auf den Elfmeterpunkt. Doch nichts da: nach kurzer Sichtung der Bilder entschied man sich gegen einen Strafstoß.

Mehr Gerechtigkeit, mehr Transparenz und mehr Fairness durch den VAR? Fehlanzeige!

Dass auch die neuen, teilweise etwas verwirrenden Handspielregelungen die Entscheidungen der Schiedsrichter beeinflussen, ist klar. Die abgepfiffene Situation von Amiri vor dem Leverkusener Tor ist etwa regeltechnisch korrekt, im Kontrast mit den anderen Entscheidungen jedoch völlig witzlos, denn wohin soll er mit dem Arm und hat das Handspiel in dieser Situation irgendeinen Vorteil herbeigeführt? 

Das zentrale Merkmal der Eingriffe des VAR ist nicht nicht nur, dass wie im Falle von gestern oder der Partie Mainz-Köln falsche Entscheidungen getroffen werden, sondern dass der VAR in sich untransparent bleibt. Es wirkt, als sei der Videobeweis zu sehr an Regelungen, wie etwa nur das Einschreiten bei klaren Fehlentscheidungen, gebunden.

Dadurch verliert der Kölner Keller allerdings an Seriosität. Wer entscheidet über eine klare Fehlentscheidung, ab wann spricht man überhaupt von diesem Begriff? Wer ist im Spiel überhaupt noch der Boss - der VAR oder der Schiri auf dem Platz? Mit welcher Begründung dauern Entscheidungen teilweise mehrere Minuten lang?

Im Endeffekt sieht die Situation des VAR aktuell wie folgt aus:

Der Schiedsrichter auf dem Platz ist nur noch Mittelsmann geworden, richtig das Sagen hat meist nur noch der VAR. Dieser ist allerdings durch diverse Regelungen einerseits sehr pingelig, anderseits extrem gehemmt, sprich unzuverlässig. Das hat zur Folge, dass der Videobeweis in wichtigen, vom Schiri auf dem Platz falsch bewerteten Situationen nicht einschreitet, in besonders engen Situationen hingegen zu wenig Fingerspitzengefühl beweist und unnatürlich heftig auf die Regeln pocht.

Der Schiedsrichter auf dem Platz verliert dabei seine Autorität. Spieler, Trainer und Fans hingegen verlieren die Lust, nach minutenlangem Abwarten kuriose Entscheidungen zu erhalten. Von mehr Fairness kann aktuell noch nicht die Rede sein, dafür halten die Kinderkrankheiten des VAR die Diskussionen noch zu sehr am Leben. Und die Tatsache, dass die Entwicklung des Videobeweises seit Monaten auf der Stelle tritt, lässt jeden den Sinn des VAR deutlich hinterfragen.