1. Spieltag der Frauen-WM 2023: Die Überraschungen & Enttäuschungen
Von Helene Altgelt
Der erste Spieltag der Frauen-WM 2023 ist bereits gespielt, und nicht mit jedem Ergebnis hätte man rechnen können. Von wackeren Underdogs und mutigen Gastgeberinnen hin zu blassen Favoriten - das sind die Überraschungen und Enttäuschungen vom ersten Spieltag.
- Überraschung: Die Underdogs schlagen sich gut
- Enttäuschung: Norwegen schleppt die EM-Probleme weiterhin mit sich
- Überraschung: Spanien, Japan und Brasilien bringen Fans zum Schwärmen
- Enttäuschung: Die Kommunikation der Entscheidungen erfüllt die ErVARtungen nicht
- Überraschung: Deutschland gewinnt höher als gedacht
1. Überraschung: Die Underdogs schlagen sich gut
Mit der Aufstockung der WM auf 32 Teams kam die Sorge auf, ob nicht die Qualität in der Breite leiden würde. War die FIFA den Schritt zu früh gegangen? Würden bei dieser WM Resultate wie das 13:0 der USA gegen Thailand vor vier Jahren häufiger auftauchen? Nach einem Spieltag ist es zu früh für eine endgültige Einschätzung, aber viele WM-Debütanten und Underdogs schlagen sich beachtlich.
Der WM-Auftakt für England und Frankreich sah auf dem Papier machbar aus: Gegen Haiti und Jamaika waren die beiden Teams haushoch favorisiert. Aber ein Spaziergang wurde es trotzdem nicht. Während England sich gegen Haiti zu einem knappen 1:0 quälte - im echten WM-Stil natürlich per Elfmeter -, kam Frankreich sogar nur zu einem torlosen Unentschieden.
Haiti feierte gegen Sarina Wiegmans Europameisterinnen das WM-Debüt, und angesichts der Schlagkraft der englischen Offensive bei der letzten EM befürchteten einige ein hohes Ergebnis. Stattdessen schlug sich Haiti gut, und dass sie nur ein Tor kassierten, lag nicht nur an Englands Chancenwucher.
Besonders Mittelfeldspielerin Melchie Dumornay zeigte, warum sie zu den größten Talenten bei dieser WM zählt. Dumornay war sowohl offensiv als auch defensiv überall und sorgte dafür, dass England kaum durch das Mittelfeld kam. Ab diesem Sommer spielt die 19-Jährige für Olympique Lyonnais, was bereits seit Jahren ihr Traum gewesen war - nach der WM hätte es sicher noch mehr Interessenten gegeben.
Am Ende konnte sich England sogar bei Mary Earps bedanken, dass sie nicht mit einem Unentschieden vom Platz gingen. Das sah bei Frankreich anders aus, die gegen ein gut organisiertes Jamaika keine Räume fanden. Auch Südafrika machte es gegen Schweden gut und kassierte erst in der letzten Minute ein Tor, und Irland zeigte gegen Australien ein starkes WM-Debüt.
Trotz des berechtigten Lobes muss man auch gestehen, dass keiner der acht Debütanten am ersten Spieltag ein Tor schießen konnte. Während Haiti und Co. starke Leistungen zeigten, taten sich Sambia, Panama und Costa Rica schwerer - aber unter dem Strich ist deutlich zu sehen, dass die "Kleinen" aufschließen.
Die WM-Kolumne mit Tanja Pawollek: Die SGE-Kapitänin über den deutschen Auftakt und starke Underdogs:
2. Enttäuschung: Norwegen schleppt die EM-Probleme weiterhin mit sich
Norwegen ist für viele Fans ein Mysterium. Bei kaum einem anderen Land ist die Diskrepanz zwischen individueller Klasse und Leistung des Teams so groß. Norwegens Fußballerinnen gewinnen in Spanien, England oder Frankreich reihenweise Auszeichungen als beste Spielerin der Saison und sind Leistungsträgerinnen in den stärksten Teams Europas.
Aber im Trikot der landslag, des Nationalteams, ist alles anders. In der Offensive läuft wenig zusammen, Gefahr entsteht meist durch Momente der individuellen Brillanz. Und defensiv steht Norwegen oft völlig neben sich, die Zuordnung der Verteidigerinnen stimmt nicht und die defensive Mittelfeldspielerin Ingrid Engen ist oft so isoliert wie die Bevölkerung von Spitzbergen.
Wer die EM verfolgt hat, dem wird all das sehr bekannt vorkommen. Auch der Trainerwechsel scheint wenig geändert zu haben, Hege Riise steht genau wie ihr Vorgänger stark in der Kritik. Die Taktik war beim 0:1 gegen Gastgeber Neuseeland desaströs, das steht außer Frage. Aber nur an der Trainerposition kann es auch nicht liegen.
Eine Niederlage gegen den Gastgeber - für Norwegen war das Auftaktspiel ein unangenehmes Déjà-vu, auch wenn die Schlappe weniger herb ausfiel als das 0:8 gegen England bei der EM. Gegen die Schweiz müssen unbedingt drei Punkte her, ansonsten droht erneut ein frühes Aus.
3. Überraschung: Spanien, Japan und Brasilien bringen Fans zum Schwärmen
Während sich viele Favoriten schwertaten, zeigten drei Teams spielerisch eine ganz starke Leistung und brachten Liebhaber des Kombinationsfußballs ins Schwärmen. Die Rede ist von Spanien, Japan und Brasilien.
Spanien musste sich gegen Costa Rica eigentlich nur eine Sache ankreiden: Die Chancenverwertung. Torhüterin Solara machte ihnen das Leben denkbar schwer, aber von 46 Schüssen könnte man dennoch mehr als drei Tore erwarten. Bis auf die Präzision im Abschluss zeigte Spanien aber eine Top-Leistung, angeführt von der überragenden Aitana Bonmati im Mittelfeld. Tiki-Taka, wie man es sich ausmalt, ständig in Bewegung und flüssig gespielt.
Auch Japan zeigte bei dem 5:0 gegen Sambia einige fantastische Kombinationen. Sambia hatten viele nach den guten Leistungen in der Vorbereitung als mögliches Überraschungsteam auf dem Zettel, aber gegen Japan hatten sie nicht den Hauch einer Chance. Die Japanerinnen nutzten alle Mittel, um die gegnerische Defensive nach allen Regeln der Kunst zu sezieren: Steilpässe, Seitenverlagerungen, scharfe Hereingaben. All das auf einem sehr hohen Niveau, präzise ausgeführt und gepaart mit herausragender Technik. Wer bei Spanien gegen Japan am 31.07. (9 Uhr) nicht einschaltet, hat den Fußball nie geliebt!
Wer den Fußball und seine Schönheit definitiv liebt, ist Brasilien. Die Selecao gewann dank eines Hattricks von Ary Borges mit 4:0 gegen Panama. Die beste Aktion von ihr war aber keines der Tore, sondern ihr Assist zum 3:0. Es war ein Spielzug, wie er auch im Louvre hängen könnte, mit zweimal Hacke, mehrfachem Zurücklegen und nur so wenigen Ballkontakten wie gerade nötig. Kein Wunder, dass Trainerin Pia Sundhage spontan vor Freude ein kleines Tänzchen aufführte.
4. Enttäuschung: Die Kommunikation der Entscheidungen erfüllt die ErVARtungen nicht
Der VAR steht alle Jahre wieder bei großen Turnieren in der Kritik: zu langsam, zu kleinlich... Bei der WM sollte alles besser werden, denn die Schiedsrichter*innen erklären ihre Entscheidungen - das soll für mehr Transparenz sorgen, denn in vielen Fällen wissen die Zuschauer nicht so wirklich, was überhaupt überprüft wird.
Das ist allerdings immer noch oft der Fall: Die Erklärungen beschränken sich auf das Minimum (Abseits: ja oder nein), und im Stadion ist die Durchsage akustisch oft nicht zu verstehen. Gerade bei komplizierten Fällen wäre es wichtig, mehr zu kommunizieren.
Nur ein Beispiel von vielen: Bei dem Spiel von Sambia gegen Japan sollte Japan eigentlich ein Elfmeter zugesprochen werden, und Sambias Torhüterin sah die gelbe Karte. Der Elfer wurde dann wegen Abseits zurückgenommen, die gelbe Karte aber nicht. Das lag daran, dass sie als Unsportlichkeit, und nicht als Verhinderung einer klaren Torchance gewertet wurde. Erklärt wurde das aber nicht. Und da die meisten Zuschauer wohl nicht das FIFA-Regelwerk zum Frühstück verspeist hatten und davon ausgingen, dass die Karte ebenfalls rückgängig gemacht wurde, war die Verwirrung groß, als Sambias Torhüterin nochmal gelb sah und vom Platz musste.
5. Überraschung: Deutschland gewinnt höher als gedacht
Außerhalb von Deutschland hielt sich die Überraschung über den deutlichen 6:0-Sieg gegen Marokko in Grenzen: "Da ist also das echte Deutschland wieder, bei den Turnieren ist immer mit ihnen zu rechnen, war ja klar", so der Tenor.
In Deutschland war der Optimismus vor dem Spiel eher weniger groß, viele rechneten mit einem knappen Auftakt. Schließlich hatten sich auch die anderen Favoriten nicht gerade mit Ruhm bekleckert, und die Vorbereitungsspiele zeigten viele Schwachstellen auf.
Als es darauf ankam, war Deutschland aber da. Alexandra Popp, die im Training zuletzt die Zielsicherheit vermissen ließ, hatte sich die Tore offenbar für das Auftaktspiel aufgehoben. Die Defensive wackelte in einigen Szenen, aber insgesamt war es ein souveräner Auftritt mit einer starken Leistung der Offensive.
Eine Überraschung zu Beginn - genau wie bei der EM, als der 4:0-Auftaktsieg gegen Dänemark für die gleiche Mischung aus Verblüffung und Euphorie sorgte. Nun ist Marokko nicht der stärkste Gruppengegner, aber ein solcher Auftakt kann trotzdem nicht schaden. Sowohl, was das Selbstbewusstsein des Teams angeht, als auch im Hinblick auf die WM-Stimmung in Deutschland.
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