Kommentar zur U23 der DFB-Frauen: Überfällig - und mehr als ein Jugendteam

Der DFB hat die U23-Auswahl der Frauen reaktiviert, der erste Kader steht. Ein wichtiger Schritt: Von einer Zwischenstufe zwischen U20 und A-Nationalteam können alle Seiten profitieren - denn die U23 ist nicht nur eine weitere Jugendauswahl, sondern eigentlich ein B-Nationalteam.
In der neuen U23 spielen Toptalente wie Natasha Kowalski
In der neuen U23 spielen Toptalente wie Natasha Kowalski / Mika Volkmann/GettyImages
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Die Nachricht dürfte in Wolfsburg für Freude gesorgt haben: Im September verkündete der DFB, ein U23-Nationalteam der Frauen einzuführen. Endlich! Denn diese Maßnahme stand schon jahrelang im Raum. Zu einer Gründung der U23 kam es trotzdem nie. Vor 2012 hatte es schonmal ein U23-Nationalteam gegeben, danach nicht mehr.

Ralf Kellermann, Sportdirektor der VfL-Frauen, kritisierte daher den DFB Anfang dieses Jahres mit scharfen Worten. "Wir sind die einzige Top-Nation in Europa, die in dieser Altersklasse keine Nationalmannschaft hat", konstatierte er.

Der DFB sei schlicht nicht bereit, genug Geld im Frauenfußball in die Hand zu nehmen, so sein Vorwurf: "Mir wurde der Verzicht auf diese Mannschaft immer mit dem Verweis auf budgetäre Gründe erklärt. Dafür fehlt mir jegliches Verständnis, und man muss sich nicht wundern, wenn man in manchen Bereichen den Anschluss verliert."

Kader der neuen U23-Auswahl: Große Vielfalt, viel Talent

Mit dem neuen Schritt dürfte Kellermann also zufrieden sein - auch wenn in dem neuen U23-Kader, den Trainerin Kathrin Peter bekanntgab, keine einzige Wolfsburgerin steht. Ein bei DFB-Nationalteams ungewöhnlicher Anblick. Auch von Bayern ist nur eine Spielerin, Torhüterin Ena Mahmutovic, nominiert.

Das kann man als Auszeichnung für die Nachwuchsarbeit der anderen Vereine verstehen. Wolfsburg und Bayern bilden weiter, aber die meisten aktuellen A-Nationalspielerinnen haben ihre ersten Schritte nicht dort, sondern in Essen, Freiburg oder Hoffenheim gemacht.

Die SGS Essen stellt auch in der neuen U23-Auswahl mit fünf Spielerinnen das größte Kontingent. Nur drei Klubs der Frauen-Bundesliga haben keine Spielerin entsendet, neben Wolfsburg sind das die Aufsteiger Jena und Potsdam.

U23 kann für neuen frischen Wind sorgen und Türen öffnen

An Talenten mangelt es nicht im deutschen Frauenfußball, das zeigt auch diese Auswahl wieder. Und doch war es in den letzten Jahren für diese Talente schwer, sich in das A-Nationalteam zu spielen. Die Türen schienen fast schon verschlossen, spielte man nicht auf höchstem Niveau international mit einem der Topklubs. So feierten viele Spielerinnen - Elisa Senß, Sarai Linder, Bibiane Schulze-Solano - eher untypisch erst mit Mitte 20 ihr Debüt.

Der frische Wind tat den DFB-Frauen gut, und hätte das vielleicht auch schon früher getan. Nun ist die Kadernominierung immer Chefsache, und natürlich hätten diese Spielerinnen mit etwas mehr Mut auch schon früher nominiert werden können. Aber ohne eine Auswahl, die die Brücke zwischen Jugendbereich und Profis darstellt, war es schwer, sich zu empfehlen.

Die U23 hat das Potenzial, tatsächlich diese Brücke zu werden. Sie ist nicht nur eine weitere Jugend-Auswahl, sondern eher ein B-Nationalteam. Schließlich dürfen selbst Spielerinnen, die über der U23-Altersgrenze sind, nominiert werden. Gleich fünf von ihnen dürfen gleichzeitig auf dem Rasen stehen. Eine beträchtliche Anzahl, fast die Hälfte der Akteurinnen. Da ist der Name U23 schon fast nicht mehr passend.

Marie Muller
Marie Müller, im Dienst der Portland Thorns, wäre eigentlich zu alt für die U23 / Lyndsay Radnedge/ISI Photos/GettyImages

Natürlich sollte der Ausbildungsgedanke weiterhin im Vordergrund stehen. Daher ist es richtig, dass Kathrin Peter "nur" sechs Ü23-Spielerinnen nominiert hat. Aber so bekommen auch Spielerinnen, die mit 21 noch nicht bei den Bayern spielen, eine Chance. Karrierewege wie der von Vanessa Fudalla, die sich bei Bayern erst nicht durchsetzen konnte und in der 2. Liga einen neuen Anlauf nahm, können so ebenfalls berücksichtigt werden.

Auch die Konkurrenz ist stark - Tests auf hohem Niveau

Das neue U23-Team hat eine große Qualität. Ob Natasha Kowalski, Nina Lührßen oder Katharina Piljic: Viele der Nominierten gehören jetzt schon zu den besten Spielerinnen der Bundesliga. So manches A-Nationalteam wäre wohl froh, sie in ihren Reihen zu haben. Auch Bundestrainer Christian Wück sagte, vielen Spielerinnen würde er es jetzt schon zutrauen, "bei uns" aufzulaufen: "Ich bin jedoch davon überzeugt, dass es für ihre Entwicklung besser ist, diesen Zwischenschritt zu gehen."

Kaum etwas ist in der Entwicklungsphase so wichtig wie regelmäßige Spielzeit, und die bekommen die Toptalente nun garantiert. Gegen hochkarätige internationale Konkurrenz, auch das ist ein wichtiger Punkt. Denn nicht nur beim DFB hat die U23-Auswahl eine große Qualität.

In einem europäischen Turnier messen sich die DFB-Juniorinnen mit Spanien, Belgien, Italien und Frankreich. Gerade Spanien - das aktuell dominante Land im Nachwuchsbereich - und Frankreich dürften dabei Gradmesser sein. Später könnte es dann gegen England oder die Niederlande gehen. Die englischen Young Lionesses etwa sind ebenfalls ein sehr starkes Team mit einigen bekannten Namen.

Im letzten Kader stand etwa Laura Blinkilde Brown: Für die Mittelspielerin legte Manchester City dieses Jahr 200.000 Pfund (ca. 239.000 Euro) auf den Tisch. Stürmerin Aggie Beever-Jones, die für Chelsea starke Leistungen zeigt, pendelt zwischen der U23 und dem A-Nationalteam hin und her. Gleiches gilt für ihre Sturmkollegin Ebony Salmon, die mit ihren 23 Jahren schon Erfahrung in der amerikanischen Liga gesammelt hat.

Auch in den Kadern von Spanien oder Frankreich stehen mit den Toptalenten von Barcelona oder Lyon aufregende Spielerinnen. Da sind Spiele auf hohem Niveau fast garantiert. Die Ergebnisse dürften deutlich aussagekräftiger sein, als noch in der U20.

Christian Wück wird diese Spiele sicher sehr genau beobachten. Für ihn ist es ein Luxus, nicht nur eine weitere Jugendauswahl zu haben, sondern quasi ein zweites Nationalteam. Für die Spielerinnen, die sich auf hohem Niveau für das A-Nationalteam empfehlen können, ebenfalls.


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