Kommentar zum Traumstart unter Wück: Frischer Wind in den DFB-Segeln
Von Helene Altgelt
Wir sind wieder wer! EM-Favorit, mindestens! Reicht der Champagner denn zum Feiern überhaupt noch? In den Stunden nach dem Sieg war die Euphorie groß, wie es bei Fußballfans und -journalisten gang und gäbe ist.
Nicht nur Bundestrainer sind die 80 Millionen Deutsche gerne, sondern auch Lobsänger, oder im Fall einer Niederlage auch vernichtende Kritiker. Besonders bei einem Debüt schwappt der Topf der Emotionen gerne mal über. Grautöne werden dann einfach übergossen, am Ende muss es schließlich ein klares Fazit geben: Yay oder nay.
Christian Wück kennt die Lobhudelei schon, als Trainer der männlichen U17 des DFB wurde er schon einmal über den grünen Klee gelobt, als er mit seiner Auswahl die EM und WM 2023 gewann. Die Aufmerksamkeit bei seinem Debüt als Trainer der DFB-Frauen war aber ungleich höher. Vor fast 48.000 Zuschauern im ikonischen Wembley-Stadion, gegen den Vizeweltmeister und Europameister.
Überschwang nach dem Sieg - Wück bescheiden
Es war eine wahrhaftige Feuerprobe, die Deutschland meisterte. Zwischenzeitlich führten die DFB-Frauen mit 3:0, der Höhepunkt der Euphorie. Am Ende stand ein 4:3 auf den Anzeigetafeln, und Wück musste sich keinen kritischen Fragen stellen, sondern durfte einen Regen aus wohlig-warmen Worten von den anwesenden Reportern über sich ergehen lassen. Aus dem Annehmen der Glückwünsche kam er kaum mehr heraus.
Den Überschwang kannte Wück nunmal schon, und wusste souverän damit umzugehen. "Es wäre falsch, das alles auf mich oder auf das Trainerteam oder auf den Neuanfang zu schieben“, erklärte er bescheiden. Understatement ist in solch einer Situation keine schlechte Idee. Die Erwartungen weiter in die Höhe zu treiben, hätte wohl wenig zu der langfristigen Entwicklung beigetragen.
Und doch gebührt Wück ein Lob. Schon beim ersten Spiel, nach nur wenigen Trainingseinheiten, war etwas zu spüren. Eine leichte Brise, ein "Wind of Change", um es mit den Scorpions zu sagen. Wück will an bewährte Traditionen anknüpfen, sprach seinem Vorgänger Hrubesch einiges an Lob aus.
Hrubesch' Superkraft war der Umgang mit den Spielerinnen, und das Gefühl, dass allen zugehört wird, soll auch bei Wück weiter existieren. Der neue DFB-Coach betont weiterhin, wie wichtig Kommunikation sei.
Dennoch erstarrt Wück nicht in Ehrfurcht vor seiner neuen Aufgabe oder vor dem Erbe seines Vorgängers. Seine Mischung aus Traditionsbewusstsein und Mut zu neuen Aufbrüchen könnte genau das sein, was die DFB-Frauen nun brauchen.
Nach Stabilität brauchen die DFB-Frauen jetzt Mut
Nach der turbulenten Post-WM-Zeit war die Stabilität von Hrubesch das Richtige für die Elf. Direkt einen neuen Umbruch mit neuem Gesicht zu starten, hätte womöglich für mehr Verunsicherung gesorgt und mehr Schaden angerichtet als Gutes getan. Inzwischen aber ist das Selbstvertrauen der DFB-Frauen retabliert, eine Bronzemedaille hängt an ihren Wänden. Es ist Zeit für etwas Neues.
Wie genau das aussehen würde, hatte Wück vor dem Spiel noch offengelassen. Daher war es schwer, einzuschätzen, ob seine Bekenntnisse eher Phrasen oder Wahrheitsträger waren. Wück sprach viel von den ominösen Leitplanken des DFB. In denen werden die spielerischen Ziele des Verbandes identifiziert, alle DFB-Teams sollen sich dadurch auszeichnen. Eine "corporate identity" für den Verband, eine fußballerische Identität eben.
Es geht um Ballbesitz und aktives Spiel, überschrieben sind die Leitlinien mit motivierenden Sätzen wie "Wir suchen und gewinnen jedes persönliche Duell!". Könnte auch aus der Charta eines mittelalterlichen Rittervereins stammen. Was das auf dem Rasen bedeuten soll, bleibt aber erstmal schleierhaft. Gut, dass die Leitplanken an den Autobahnen nicht ebenso schwammig sind, das wäre wohl gefährlich für den deutschen Verkehr.
Wück jedenfalls hat in London seine eigene Interpretation dieser Leitlinien aufgezeigt. Gegen England spielte die deutsche Auswahl mutig, stellenweise ein wenig vogelwild, aber vor allem mutig. Es ist kein "Sicherheitsfußball" wie unter Hrubesch mehr, wie es Giulia Gwinn sagte.
Solche klaren Worte sind aus dem Mund der vielleicht nächsten DFB-Kapitänin doch ungewöhnlich: Gwinn ist großer Hrubesch-Fan, betonte immer wieder, wie gut er dem Team tue. Auch sie schien aber von dem neuen Konzept begeistert. Wück scheint es gelungen zu sein, binnen kürzester Zeit ein neues Konzept vorzustellen, ohne mit dem neuen Mut alle zu überrumpeln und zu überfordern.
Mut ohne Konzept ist Naivität, aber das war beim Spiel der DFB-Frauen nicht der Fall. Zu der couragierten Leistung hinzu kam ein taktisch solider Plan, mit Seitenwechseln und Durchbrüchen über außen setzte Deutschland die englische Defensive in den ersten Minuten allzu leicht schachmatt. Wück selbst war an der Seitenlinie nicht weniger engagiert als seine Spielerinnen, wirkte mit seinen ständigen Anweisungen stets präsent.
Wück sollte nicht mit überhohen Erwartungen überfrachtet werden
Dass noch viel Arbeit zu tun ist, zeigte dann der kleine Einbruch nach 3:0-Führung, England kam nochmal ran. Das frisch erworbene Selbstvertrauen ist noch brüchig. Aber den ersten Sturm hat das DFB-Schiff mit Wück am Steuer gemeistert. In den nächsten Monaten wird es darum gehen, den Wind of Change ideal zu nutzen, den perfekten Kurs zu finden, um sich von den Neuerungen antreiben zu lassen, statt wegen ihrer gefährlich zu schwanken.
Wück hat die Segel gesetzt, und der erste Eindruck ist gut. Der größte Dank, den ihm Fans und Öffentlichkeit nun tun können, ist, die Erwartungen kleinzuhalten. Ein guter Start in die Regatta heißt noch nichts, und auch Wücks neue, mutige Spielphilosophie wird an ihre Grenzen stoßen. Vielleicht schon früher, als gedacht. Von Ideen von Wück als Retter der DFB-Frauen sollte man sich daher, bei allem berechtigten Lob, schon jetzt verabschieden.
Ein kleiner Moment des Genießens darf trotzdem sein. Allem Anfang wohnt schließlich ein Zauber inne, und der Schwung dieser ersten Wochen könnte das DFB-Team noch weit tragen.