Der FC Bayern steuert auf riesiges Problem zu

Der FC Bayern kann sich aus sportlicher Sicht derzeit glücklich schätzen und mit einem breiten Grinsen durchs Leben gehen. Doch der Blick in die Zukunft darf nicht verloren gehen. Ein Kommentar.
Joshua Kimmich und Manuel Neuer
Joshua Kimmich und Manuel Neuer / Alexander Hassenstein/GettyImages
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Tabellenführer in der Bundesliga mit aktuell acht Punkten Vorsprung, ein sicherer 3:0-Erfolg in der Champions League gegen Bayer 04 Leverkusen und damit dem großen Ziel 'Finale dahoam 2.0' ein großes Stück näher gekommen. Die Verträge von Leistungsträgern wie Manuel Neuer oder Alphonso Davies verlängert, die von Joshua Kimmich scheint sich zeitnah abzuzeichnen. Eigentlich sieht es derzeit fast gänzlich rosig aus beim deutschen Rekordmeister - doch die Erfolgsgeschichten der Gegenwart dürfen in München keinesfalls über die anstehenden Probleme der Zukunft hinwegtäuschen.

Mit Manuel Neuer (38) und Thomas Müller (35) verlieren die Bayern auf absehbare Zeit zwei wichtige Leistungsträger der letzten Jahre und Gesichter des Vereins. Auch die Zukunft von Leon Goretzka ist noch nicht geklärt und wer erinnert sich nicht an den Saisonbeginn, als der 30-jährige Mittelfeldspieler als Verkaufskandidat Nummer eins gehandelt wurde? Auch die Gerüchteküche um einen möglichen Abgang von Harry Kane brodelt aus verschiedenen Richtung immer mal wieder auf. Vieles davon ist sicherlich an den Haaren herbeigezogen, aber was passiert, wenn der Engländer im Sommer tatsächlich den Abflug macht und in die Heimat zurückkehrt?

Worauf ich hinaus will: Beim FC Bayern wird sich in absehbarer Zeit die Frage stellen, wie sich die Hierarchie innerhalb der Mannschaft aufstellt. Insofern ist eine Verlängerung mit Kimmich aus meiner Sicht fast zwingend notwendig, um nicht führungslos in die nächsten Jahre zu gehen, denn wer soll die Mannschaft in Zukunft als Führungsspieler anführen, wenn nicht der vermeintliche Nachfolger von Manuel Neuer als Kapitän des FCB? Genau diese Frage ging mir die letzten Tage seit dem angeblichen Vertragsrückzug der Münchner permanent durch den Kopf.

Welche Pferde sollen die Bayern-Kutsche ziehen?

Leroy Sane, bei dem selbst noch nicht klar ist, ob es für ihn in München weitergeht, oder Serge Gnabry scheinen nicht aus Holz geschnitzt zu sein, um als unumstrittene Leader einen Verein wie die Bayern zu führen. Dafür entsteht zu oft der Eindruck von Mitläufern, was diesen Aspekt betrifft. Die beiden wurden schon den großen sportlichen Fußspuren ihrer Vorgänger Ribery und Robben kaum gerecht - von deren Bedeutung als Führungspersönlichkeiten ganz zu schweigen.

Mit dem absehbaren Karriereende von Neuer und Müller fehlen dann wie erwähnt zwei ganz große Köpfe im Kader und auch ein nicht komplett unrealistischer Abgang von Harry Kane in den nächsten ein bis zwei Jahren würde eine große Lücke in das Machtgefüge reißen - ebenso ein Abgang von Leon Goretzka oder gar eine Nichtverlängerung von Kimmich, die derzeit nicht zu erwarten, aber auch noch nicht komplett vom Tisch ist.

Doch wer aus dem aktuellen Kader hat das Potenzial, in der Hierarchie der Bayern aufzusteigen und als Leader voranzugehen? Dazu bedarf es zum einen der sportlichen Klasse, die einen Spieler durch Konstanz - intern wie extern - unantastbar macht. Zum anderen sollte dieser Spieler bereits über ein gewisses Standing innerhalb der Mannschaft, den Trainern und Vereinsführung verfügen, was voraussetzt, dass dieser bereits eine gewisse Zeit in München gespielt und sich einen Namen gemacht hat. Selbst wenn Kimmich bleibt, wonach es aussieht, müssen die Machtverhältnisse neu geordnet werden. Aber mit wem?

FCB muss eigentlich an Goretzka festhalten und neue Leader aufbauen

Schaut man sich den aktuellen Kader an, muss man zu dem Schluss kommen, dass die Bayern auch unter diesem Gesichtspunkt nicht um eine weitere Zusammenarbeit mit Leon Goretzka herumkommen. Ihn sehe ich dann am ehesten als weiteren Führungsspieler und potenziellen Verteter Kimmichs im Team. Zudem könnte Alphonso Davies in dieser Hinsicht den nächsten Schritt machen und sich ebenfalls als Führungsspieler neu erfinden - ja fast erwachsen werden. Gleiches gilt für Josip Stanisic, wenn er endlich fit bleibt.

Als Leader der Zukunft muss man in diesem Atemzug dann sicherlich auch Aleksandar Pavlovic nennen, der wie kein anderer im Team der Zukunft dann den FC Bayern verkörpert. Als gebürtiger Münchner und lebenslanger Bayern-Spieler ist ihm die DNA des Vereins und das Mia San Mia wie keinem anderen eingeimpft worden.

Bei einem längeren Verbleib würde eventuell auch Joao Palhinha aufsteigen ins Regal der Wortführer bei den Bayern doch fremdelt es mit dem Portugiesen noch sehr und auch bei ihm ist ein Verkauf im Sommer nicht ausgeschlossen. Ob ein Dayot Upamecano oder ein Min-jae Kim in diese Rolle passen, wage ich in Frage zu stellen. Zu häufig die Kritik an deren Klasse und Konstanz - auch wenn mit Upamecano offenbar langfristig geplant wird.

Aleksandar Pavlovic
Leader der Zukunft? Aleks Pavlovic / Rene Nijhuis/MB Media/GettyImages

Es ist fast unmöglich, einen Anführer zu implantieren - fast...

Dagegen wird es schwierig sein, Führungsspieler erst bei Bedarf zu kaufen und darauf zu hoffen, dass sie sich sofort in die Mannschaft einfügen und alle mitziehen. Deshalb sollte man in München im kommenden Sommer vor allem unter diesem Gesichtspunkt auf dem Transfermarkt aktiv werden und sich neben sportlicher Klasse auch dringend Führungsqualitäten für die Zukunft einpflanzen - solange die aktuellen noch da sind. Dafür muss man entweder viel Geld in die Hand nehmen oder sehr geschickt verhandeln.

Meine Kandidaten, die aus Sicht der Bayern unbedingt eine Rolle spielen sollten, sind also auch aufgrund der von vielen ausgemachten Defensivprobleme (überspitzt formuliert) vor allem in der Innenverteidigung zu suchen. Da fällt mir ein Yann Bisseck (24) von Inter Mailand ein, der eine unglaubliche Entwicklung genommen hat und wohl der nächste wichtige Baustein der deutschen Nationalmannschaft wird. Er ist ein Spieler, der in diese Führungsrolle hineinwachsen kann. Deutlich bessere Karten als Bisseck sofort sein Standing zu erhalten, hat aus meiner Sicht der Niederländer Virgil van Dijk (33), dessen Vertrag beim FC Liverpool im Sommer ausläuft. Die Bayern sollten sich intensiv um ihn bemühen. Doch im fortgeschrittenen Fußballeralter kann auch van Dijk maximal ein gewisses Zeitfenster überbrücken.

Virgil van Dijk
Einer für Bayern? Virgil van Dijk / Carl Recine/GettyImages

Wer bildet die Münchner Speerspitze der Zukunft?

In der Offensive könnte Jamal Musiala künftig das Gesicht des FC Bayern werden. Aber kann der eher ruhige 22-jährige Wirbelwind auch eine zeitnahe Führungsrolle übernehmen, das Bambi-Image abwerfen und zum absoluten Platzhirsch reifen? Ich sage Ja - dafür wird es auch internationale Titel benötigen.

Ein Florian Wirtz scheint zumindest mir als Außenstehender für eine solche Rolle jetzt schon etwas besser geeignet und macht eine Transferoffensive der Bayern beim Leverkusener Star umso wünschenswerter. Neben den sportlichen Fähigkeiten auch in Sachen Einstellung und Führungsqualität. Wirtz wirkt aus meiner Sicht schon etwas gereifter. Vermutlich weil er in Leverkusen schon genau das sein kann, während Musiala sich noch im Schatten der ganz großen Köpfe in München ausschließlich auf den Spaß am Fußball konzentrieren kann. Das finanzielle Gesamtpaket wird aber auch von ihm irgendwann abverlangen, dass er als Leader nach vorne treten muss. Bis dahin sei ihm die Freiheit gegönnt einfach nur Spaß am Fußball zu haben.

Man sieht also, wie vielschichtig das vermeintliche Problem ist und in den nächsten Jahren noch werden wird. Eine solide Kaderplanung muss auch eine solche Entwicklung berücksichtigen. Das erfordert neben viel Phantasie auch die nötige Weitsicht von Entscheidungsträgern wie Max Eberl und Christoph Freund, um dem stets mit Stars gespickten Top-Verein ein Rückgrat für die Zukunft zu geben.


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