Der Misserfolg des BVB ist nicht die Schuld von Nuri Sahin - Ein Kommentar
Von Oliver Helbig
Borussia Dortmund kommt seit Wochen einfach nicht zur Ruhe. Der BVB hinkt den eigenen Ansprüchen gefühlt meilenweit hinterher und hat mit einer fast schon grotesk anmutenden Verletzungsmisere und einem zur Verzweiflung treibenden Auswärtsfluch mehr als genug Brandherde, die es zu bekämpfen gilt. Als Hauptverantwortlicher für die vermeintliche sportliche Misere steht BVB-Trainer Nuri Sahin im Rampenlicht und erntet Woche für Woche Kritik von nahezu allen Seiten. Zwar erhält der junge Trainer auch gelegentlich Zuspruch, dieser wird jedoch meist von den kritischen Stimmen um seine Person übertönt. Für mich ist es deshalb ein Anliegen endlich einen Stab für den Trainerneuling zu brechen und eine Ansicht zu teilen die mir schon lange auf dem Herzen brennt.
Für mich ist der aktuell kommunizierte sportliche Misserfolg nicht die Schuld des noch unerfahrenen Dortmunder Trainers, und ich finde es bedenklich, dass man ihn von Seiten des eigenen Vereins mehr oder weniger im Regen der Kritik stehen lässt und ihm allenfalls ab und zu einen Regenschirm über den vor Tadel tropfenden Kopf hält. Dass die öffentliche Wahrnehmung und vor allem die lautstark schallende Unzufriedenheit der Dortmunder Fans so groß ist, liegt aber nicht am Trainer, sondern an den Verantwortlichen der Schwarzgelben die in meinen Augen bereits im Vorfeld grundlegende Fehler begangen haben die Sahin nun ausbaden muss.
Mal ehrlich: Wenn man als Borussia Dortmund die Entscheidung trifft, den auf der großen Trainerbühne unerfahrenen Sahin zum Cheftrainer zu machen und dabei den Faktor Vereinsidentifikation weit vor den Faktor einer adäquaten Lösung für die hohen sportlichen Ansprüche des mächtigen Bundesligisten, der übrigens auch international große Strahlkraft genießt, stellt, dann muss man im Vorfeld klar definieren, wie man Erfolg und Misserfolg für die nähere Zukunft definiert. Das hat der BVB in der Causa Sahin eindeutig versäumt.
Sahin selbst hat bei der Saisoneröffnung die Dortmunder Fans um Geduld gebeten und damit selbst aufgezeigt, dass seine Entwicklung eng mit der Entwicklung der Mannschaft und Dortmunder Erfolgen verknüpft ist. Für mich ist es auch aus meiner eigenen Erfahrung als Trainer nur logisch, dass Sahin in diesem Fall nur an und mit der Aufgabe wachsen kann, aber nicht über sich oder der öffentlichen Erwartungshaltung hinaus. Noch nicht.
Die Dortmunder Bosse haben es in meinen Augen eindeutig versäumt, ihrer Trainerlösung mit Stallgeruch bereits vor Saisonbeginn grundsätzlich den Rücken freizuhalten. Es hätte klar kommuniziert werden müssen, dass man diesem Trainer eine unglaublich große Zukunft zutraut, ihm aber damit verbunden auch die nötige Zeit und den Spielraum für Fehler und zum Teil ausbleibenden Ergebnissen einräumt. Ohne Wenn und Aber! Wenn man von Sahins Potenzial so überzeugt ist, dass man ihn zu diesem Zeitpunkt und noch ohne Fußballlehrer-Lizenz auf den Trainerstuhl setzt, dann muss man doch so weit gedacht haben, dass Sahin Fehler wie beispielsweise gegen Real Madrid früher oder später machen wird. So etwas gehört eben dazu. Warum hat man dann also nicht von Anfang an kommuniziert, dass man genau diesen Faktor einkalkuliert hat und trotzdem voller Überzeugung entschieden hat, dass genau dieser Trainer der richtige Mann für die Zukunft Dortmunds ist? Sahin in dem Glauben zu installieren, dass er als Trainerwunderkind, überspitzt gesagt, auf Anhieb die deutsche Meisterschaft holt, wäre in meinen Augen an Naivität nicht zu überbieten und macht Sahin dann zum Opfer der Unfähigkeit in der Führungsetage. Bewusst im Konjunktiv gedacht. Sollte es aber so sein dann macht man Sahin in meinen Augen zum Bauernopfer hinter dem sich die dann wohl geballte Unfähigkeit verschiedener Entscheidungsträger versammelt.
Hat man sich in Dortmund mit der Neubesetzung des Trainerstuhls sofortigen Erfolg versprochen dann hätte die Wahl in keinster Weise auf Sahin fallen dürfen. Es hätte einen erfahrenen Trainer benötigt der durch bereits gefeierte Erfolge nahezu unantastbar Seitens der offenbar nicht gerade unkomplizierten Dortmunder Kabine gewesen wäre und unter dem man Sahin womöglich in Funktion als Co-Trainer hätte weiter reifen lassen können. Dieser Entscheidung ist man beim BVB offenkundig bewusst aus dem Weg gegangen. Deshalb ist die sportliche Schieflage aus meiner Sicht nicht am Trainer festzumachen.
Dortmunds sportliche Misere ist in diesem Fall eigentlich nur eine Misere, weil Anspruch und Wirklichkeit nicht zusammenpassen. Trotz aller tollen Transfers vor der Saison hätte man den Erfolgsdruck für den Trainer an anderen Parametern als Tabellenplatz und Siegen festmachen und den Fokus ausschließlich auf klar eine definierte und gestaffelte Entwicklung legen müssen. Kurzfristige, kleine Entwicklungsschritte und Punkte die man Stück für Stück abarbeiten möchte. Zum Beispiel: Defensive Stabilität, Ideen im Offensivspiel und mittelfristig dem Erkennen einer klaren Handschrift deren Weg man weiterverfolgen will. Darüber hinaus hätte man genau diese Interpretation von Erfolg und Misserfolg auch gegenüber den eigenen Fans klar kommunizieren müssen. Man hätte die Fans ins Boot und vor allem hinter den Trainer holen müssen. Dies wurde in meinen Augen völlig versäumt, egal welche vermeintlichen Alibi-Aussagen zu Sahin in den letzten Wochen folgten und noch folgen werden.
Dass ein solch holpriger Start in sportlicher Hinsicht keineswegs das Ende oder den Untergang einer Trainerpersönlichkeit bedeuten muss, hat die Fußballwelt den Dortmundern bereits auf dem Silbertablett serviert. Man schaue nur zu Arsenal London, wo Mikel Arteta ähnlich ins Kreuzfeuer der Ansprüche geriet und die Gunners mittlerweile zum Titelanwärter in der vermeintlich besten Liga der Welt gemacht hat. Oder man schaut zu Eintracht Frankfurt, wo Dino Toppmöller in einer ähnlich schwierigen Situation war und nach einer schwierigen ersten Saison als Cheftrainer der Hessen mittlerweile eine Einheit geformt hat, die die Bundesliga wieder aufmischt. Und mal nebenbei erwähnt gewann Sahin bereits neun seiner 16 Pflichtspiele als Cheftrainer des BVB, darunter drei von vier Champions League Duellen. Kein schlechter Start in eine solch junge Trainerkarriere. Eigentlich.
Sahins Anteil an der dennoch sportlich unbefriedigenden Situation beim BVB ist sicherlich in gewisser Form nicht von der Hand zu weisen, aber dass diese nun so klar als Misere definiert wird, ist nicht die Schuld des jungen Trainertalents. Borussia Dortmund hat schon einige Teilerfolge erzielt und auch das eine oder andere Mal geglänzt, wie gegen Celtic Glasgow oder RB Leipzig, und genau auf diese Teilerfolge hätten die Dortmunder Verantwortlichen ihre Bewertung schon vor Saisonbeginn stützen können. Dann wäre auch ihr Alltag deutlich ruhiger. Klar ist der BVB vielleicht noch zu groß für Sahin aber wenn man das erst nach seiner Verpflichtung merkt wurden die Fehler weit im voraus gemacht und sorgen bei mir jetzt allenfalls für Kopfschütteln.
Durch das Versäumnis, die sportlichen Ansprüche auch der eigenen Fans bewusst zurückzuschrauben und dem Wunsch des Trainers nach Geduld zu folgen, rennt man beim BVB derzeit einer Erwartungsblase hinterher, die im schnelllebigen Geschäft Profifußball nicht erfüllt werden kann. Dortmund wird Spiele gewinnen, Dortmund wird Spiele verlieren. All das wird Sahins Entwicklung gut tun. Wenn man in Dortmund von seinem Talent überzeugt ist, sollte man ihn meines Erachtens noch deutlicher in Schutz nehmen, sich mit Nachdruck klar vor ihn stellen und zudem klare Saisonziele auf der Basis seiner Entwicklung und damit der der Mannschaft definieren. Auch auf die Gefahr hin, dass diese den in den letzten Jahren angeschwollenen Ansprüchen noch nicht gerecht werden und es ein holpriger Pflastersteinweg wird. So hätte der Trainer weitaus mehr Raum auch persönliche Siege zu feiern anstatt den für seine Entwicklung nötigen Niederschlägen davon zu hetzen und vom eigenen Herzensverein verheizt zu werden. Die Misere des BVB ist also nicht Schuld des Trainers sondern das Produkt einer falschen Erwartungshaltung rund um diesen großen Verein und was der Trainerneuling schon bereit ist zu liefern.