Bayerns Weg zurück an die europäische Spitze wird so schwer wie nie - Kommentar
Von Hendrik Gag

Mit dem souveränen 4:0 beim FC Heidenheim hat der FC Bayern einen großen Schritt in Richtung Meisterschaft gemacht. Die nach den zahlreichen Verletzungen zwischenzeitlich leise aufgekommenen Zweifel, ob Titelverteidiger Bayer Leverkusen den Münchenern die Schale nicht doch noch einmal streitig machen könnte, sind mittlerweile größtenteils wieder verstummt. Die Bayern werden nach der titellosen Vorsaison ihre Vormachtstellung im deutschen Fußball aller Voraussicht nach zurückerobern.
Anders sieht auf europäischer Bühne aus. Seit der vergangenen Woche ist klar: Das große Ziel - der Champions-League-Triumph im eigenen Stadion, der Titel dahoam - wird der deutsche Rekordmeister verfehlen. Im Gegensatz zur Bundesliga schaffte die Mannschaft von Vincent Kompany hier nicht die Trendwende: Die Niederlage gegen Inter Mailand ist das vierte Viertelfinal-Aus der Bayern in der Königsklasse in den fünf Jahren seit dem Triumph 2020.
Vorweg sei gesagt: Das Ausscheiden gegen Inter ist kein Debakel, im Gegenteil. Über beide Spiele verkauften sich die Münchener trotz der zahlreichen schmerzlich vermissten Leistungsträger mehr als ordentlich. In großen Teilen der insgesamt 180 Minuten war der FCB die tonangebende Mannschaft, am Ende entschied die bessere Chancenverwertung zugunsten der Italiener.
Ein unglückliches Ausscheiden, das im europäischen Spitzenfußball immer mal passieren kann. Dennoch bleibt festzuhalten: Die Fünfjahresbilanz mit nur einem Einzug ins Halbfinale ist zu wenig für einen Verein wie den FC Bayern, der jedes Jahr um den Titel mitspielen will. Das ist die erste bittere Erkenntnis der vergangenen Woche. Die Zweite ist: Den eigenen Ansprüchen in Zukunft wieder gerecht zu werden und regelmäßig ins Halbfinale und ins Finale einzuziehen, wird verdammt schwer. Vielleicht so schwer wie nie zuvor.
FC Bayern wird von finanziellen Problem geplagt
Schwer wie nie zuvor wird es nicht, weil die aktuelle sportliche Lage eine nie zuvor dagewesene Krise darstellt. Der Klub hat sogar schon noch größere Flauten auf der europäischen Bühne erlebt und erfolgreich bewältigt. Nach dem Titel 2001 war ganze acht Saisons lang spätestens im Viertelfinale der Königsklasse Schluss. 2006/07 qualifizierten sich die Münchener obendrein erst gar nicht erst für die Königsklasse und mussten in der Folgesaison im UEFA-Cup ran - und wurden dort im Halbfinale-Rückspiel mit 0:4 von Zenit St. Petersburg deklassiert.
Mit der Ankunft von Trainer Louis van Gaal endete die Talfahrt, 2010 zogen die Bayern wieder in das Champions-League-Finale ein (0:2 gegen Inter). Unter van Gaals Nachfolger Jupp Heynckes folgten 2012 und 2013 sogar zwei Endspiele innerhalb von zwei Jahren, inklusive des Triumphs über Borussia Dortmund im deutschen Finale 2013 (2:1). Im Vergleich zu heute gibt es jedoch einen entscheidenden Unterschied: die finanzielle Situation der Münchener.
Die Bayern tun sich inzwischen spürbar schwer, finanziell mit den europäischen Schwergewichten mitzuhalten - das ist die zweite bittere Erkenntnis der vergangenen Tage an der Säbener Straße.
"Der FC Bayern muss ganz klar sparen. Von unserem Festgeldkonto ist nicht mehr viel da. Wir müssen wirtschaftlich umdenken"
- Uli Hoeneß in der 'Welt am Sonntag'
Dass das berühmt-berüchtigte bayrische Festgeldkonto immer leerer wird, ist die Spitze des Eisberges einer Bayern-Saison, die wie kaum eine andere von finanziellen Problemen geprägt wird. Der Sparauftrag an Sport-Vorstand Max Eberl bestimmt immer wieder die Schlagzeilen. Zuletzt unter anderem bei der Frage, ob Klub-Ikone Thomas Müller noch ein weiteres Jahr im Bayern-Dress angeboten wird.
"Wenn die wirtschaftliche Situation des FC Bayern noch die wäre wie vor, sagen wir drei Jahren, wäre die Entscheidung im Fall Müller vielleicht anders ausgefallen", führte Hoeneß weiter aus. Kurz danach kam das nächste Thema auf. Die Vertragsverlängerung von Dayot Upamecano ist laut Bild und Sky ins Stocken geraten. Der Grund: Die zu hohen Gehaltsforderungen des Innenverteidigers.
Ein Tenor, der Bayern-Fans bestens bekannt sein dürfte. Über weite Strecken der laufenden Saison waren die Verlängerungen von Jamal Musiala, Alphonso Davies und Joshua Kimmich das Hauptthema an der Säbener Straße. Schon damals ließ der Verein durchblicken, dass er sehr genau auf die Gehaltskosten achten muss. Zwischenzeitlich gab es sogar Gerüchte, die Klubführung könnte Davies' neuen Kontrakt platzen lassen, weil der Kanadier darin zu viel verdienen würde.
Konkurrenz hat finanziell einen großen Vorteil
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage: Wie will der FC Bayern mit diesem Sparkurs im Kampf um den europäischen Thron mithalten? Um den Henkelpott anzugreifen, wird es sportliche Verstärkung brauchen. Das Wunschziel der Münchener ist klar: Florian Wirtz soll an die Isar kommen.
Der Leverkusener hat im DFB-Trikot bereits gezeigt, dass er im Zusammenspiel mit Jamal Musiala in den kommenden Jahren ein absolutes Traumduo bilden wird. Nur zu gerne würde man in München dieses Traumduo auch im roten Dress des FC Bayern sehen. Uli Hoeneß wird nicht müde, das öffentlich zu betonen. Nur: Hinter der Finanzierung eines möglichen Deals steht ein massives Fragezeichen. Die Werkself verlangt wohl 120 Millionen Euro plus Boni, die Bayern werden wohl sogar einen Kredit aufnehmen müssen, um Wirtz unter Vertrag nehmen zu können. Ein absolutes Novum.
Der mögliche Wirtz-Deal inklusive Bankkredit steht symbolisch dafür, dass der FC Bayern im europäischen Spitzenfußball ein anderes Spiel spielen muss als die Konkurrenz. Der größte Konkurrent um die Wirtz' Dienste scheint aktuell Manchester City zu sein. Pep Guardiola wünscht sich den Leverkusener dem Vernehmen nach als Nachfolger für Kevin de Bruyne. Ob die Cityzens sich den deutschen Spielermacher leisten können, bezweifelt niemand.
Zwar würde Wirtz auch für die Skyblues zum Rekordeinkauf werden. Der Premier-League-Riese hat jedoch auch im jüngsten Wintertransferfenster fast 220 Millionen Euro für fünf Neuzugänge ausgegeben, um spontan auf die Formkrise zu reagieren. 120 Millionen Euro plus x für Wirtz dürften daher auch nicht zum Problem werden.
Dass City solche Summe so viel einfacher als die Bayern stemmen kann, liegt zum einen am TV-Geld der Premier League, das um ein Vielfaches höher ist als das der Bundesliga und die englischen Erstligisten förmlich in Geld schwimmen lässt. Aber auch daran, dass City in großen Teilen durch staatliches Geld aus Abu Dhabi finanziert wird. Zwar sind auch die Ausgaben der Skyblues durch die Nachhaltigkeitsregel der Premier League begrenzt, City hat dennoch nicht ansatzweise den gleichen Druck, das ausgegebene Geld wieder einnehmen zu müssen wie der FC Bayern.
Der Champions-League-Sieger von 2023 kann somit mit einem ganz anderen Risiko auf dem Transfermarkt agieren. Dass Omar Marmoush bei Eintracht Frankfurt erst seit einem halben Jahr auf internationalem Topniveau agierte, ist für den Klub daher beispielsweise kein Problem. Im Winter überwiesen die Engländer rund 80 Millionen Euro an die Hessen für den Ägypter.
Trotz dieser Schieflage muss der FC Bayern versuchen, auch finanziell mit Vereinen wie Manchester City mitzuhalten. Nur so können Spieler wie Wirtz an die Säbener Straße gelockt werden und der Sprung an die europäische Spitze wieder gelingen. Der deutsche Rekordmeister muss jedoch deutlich vorsichtiger sein. Ein Transferflop kommt ohne staatliche Geldgeber mit ganz anderen Konsequenzen daher.
Juve als Warnung
Schmerzhaft zu spüren bekam das in der jüngsten Vergangenheit Juventus Turin. Ähnlich wie die Bayern hatten die Norditaliener in der heimischen Liga eine absolute Vormachtstellung inne (neun Meisterschaften in Serie von 2011/12 bis 2019/20), waren jedoch über die eigenen Resultate in der Champions League enttäuscht. Zweimal stand die alte Dame zu der Zeit im Endspiel (2015 und 2017), beiden Male ging das Finale jedoch verloren. Um den ganz großen Wurf endlich zu schaffen, verpflichtete Juve 2018 Cristiano Ronaldo.
Stolze 117 Millionen Euro ließ sich die alte Dame den damals bereits 33-jährigen Stürmer kosten - bis heute der mit weitem Abstand (90 Millionen Euro für Gonzalo Higuain auf Platz zwei) der Rekordeinkauf Juves. Näher an den Henkelpott brachte der Portugiese den italienischen Rekordmeister jedoch nicht. Drei Jahre später verließ Ronaldo Turin wieder - für rund 100 Millionen Euro weniger ging er zurück zu Manchester United.
Neben dem Transferbudget sprengte CR7 auch das Gehaltsgefüge. Um sich den Superstar leisten zu können, musste Juve andere Spieler abgeben. Etwa den 25-jährigen, gerade aufblühenden Joao Cancelo, der zu Manchester City ging. Bis heute muss sich die alte Dame finanziell von dem Ronaldo-Transfer erholen. Nicht nur ist der Henkelpott in noch weitere Ferne gerückt, auch die Dominanz in Italien ist dahin. Seit 2020 spielt Juve keine ernstzunehmende Rolle im Kampf um die Meisterschaft mehr, in der aktuellen Saison kämpft die Mannschaft sogar darum, sich überhaupt für die Champions League zu qualifizieren.
Nun verspricht ein Transfer des 21-jährigen Florian Wirtz deutlich mehr Nachhaltigkeit für den FC Bayern, als es der Ronaldo-Deal für Juve tat. Doch was, wenn der FCB Wirtz zum Rekordeinkauf macht und der Youngster entgegen der Erwartungen nicht die erhoffte Verstärkung ist? Garantien gibt es keine, Verletzungen können immer passieren. Auch kann niemand seriös prognostizieren, dass der bislang im vergleichsweise ruhigen Leverkusen agierende Wirtz mit dem Druck und der medialen Aufmerksamkeit an der Säbener Straße klarkommen wird. Der Schaden für die Münchener wäre in diesem Fall vergleichbar mit dem aus dem Ronaldo-Transfer für Juve.
Solche Gedanken muss sich ein Verein wie Paris Saint-Germain nicht machen. Die Idee des Big Three aus Kylian Mbappé, Lionel Messi und Neymar ist dort krachend gescheitert. Alleine für die Ablöse von Neymar und Mbappé zahlten die Franzosen rund 400 Millionen Euro. Hinzu kommen gigantische Gehälter. Ersetzen sollte sie unter anderem der ehemalige Frankfurter Randal Kolo Muani - 95 Millionen Euro überwies PSG 2023 an die Eintracht. Auch der französische Nationalstürmer floppte.
Und dennoch hat PSG in dieser Saison vielleicht so gute Chancen auf den Henkelpott wie nie zuvor. Trotz der zahlreichen Verlustgeschäfte und des geplatzten TV-Deals in Frankreich, der einigen Ligue-1-Konkurrenten an den Rand der Existenzgefahr bringt. Dem Geld aus Katar sei Dank - so war im Winter sogar noch genug Geld übrig, um mit Khvicha Kvaratskhelia den besten Spieler des damaligen Tabellenführers der italienischen Serie A unter Vertrag zu nehmen.
Nachteile müssen durch gute Arbeit ausgeglichen werden
Gegen diese Konkurrenz muss sich der FC Bayern durchsetzen, wenn er zum siebten Mal den Henkelpott gewinnen will. Hinzu kommen Klubs wie Real Madrid und der FC Barcelona, die im Gegensatz zu den Münchenern massive Schulden angehäuft haben.
In das Rennen um Europas Krone geht der deutsche Rekordmeister daher mit einem Rückstand. Um den aufzuholen, muss er cleverer agieren als die Konkurrenz. Der Transfer von Michael Olise ist ein passendes Beispiel. Mit dem Franzosen haben die Bayern für vergleichsweise kleines Geld (53 Millionen Euro) einen Spieler geholt, der das Potenzial hat, eine Schlüsselrolle bei einem Champions-League-Sieger zu spielen.
Neben Olise wird Jamal Musiala zentral für die Zukunft der Bayern sein. Dass die Bayern den deutschen Nationalspieler halten konnten, ist mit Blick auf den Champions-League-Titel von enormer Bedeutung. Um das Fundament herum braucht es weitere kluge Transfers nach dem Schema Olise.
"Michael Olise hat viel Geld gekostet. Aber wenn man das im internationalen Vergleich sieht, dann war es eben nicht viel Geld. Solche Transfers streben wir auch im Sommer an", erklärte Sport-Vorstand Max Eberl im Sport1-Doppelpass. Wenn das gelingt, kann der FC Bayern auch wieder ein ernstzunehmender Titelanwärter in der Königklasse sein. Unmöglich ist das nicht, es wird nur eben verdammt schwer.
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