Anfeindungen gegen Sam Kerr: Homophobie bleibt ein Problem - selbst im Frauenfußball
Von Helene Altgelt
Fußballfunktionäre reden gerne von der Kraft ihrer schönen Sportart. Als Motor der Integration, Zusammenschweißer der Gesellschaft, Instrument der Gleichberechtigung oder Kleber für alle Kitte einer polarisierten Welt. Keine Metapher ist zu groß.
Der Fußball hat aber auch seine ekligen Seiten. Der Umgang mit Homosexualität im Profifußball ist eine davon, die gerne ausgeleuchtet wird. In den allermeisten Fällen geht es dabei um die Frage, warum noch immer kein aktiver Profi in den Topligen der Welt sich zu seiner Homosexualität bekannt habe.
Oder um zweifelhafte bis offen homophobe Äußerungen von prominenten Spielern wie Kevin Behrens oder Felix Nmecha, die wiederum prompt die Antwort auf die erste Frage geben: Wenn selbst die eigenen Mitspieler nicht tolerant und bereit dafür sind, wie soll es dann die große weite Fußballwelt sein?
Der Frauenfußball galt in diesem Kontext dagegen als Utopie. Fern von allen Gedanken um protzend zur Schau gestellte Maskulinität, in die Homosexualität als vermeintlich schwaches Merkmal nicht hereinpassen würde, war der Frauenfußball schon seit seinen Anfängen ein offenes Umfeld. Zahlreiche Spielerinnen führen Beziehungen mit Teamkolleginnen, das Bayern-Duo Pernille Harder und Magdalena Eriksson setzt sich seit Jahren für LGBTQ-Rechte ein.
Regenbogenbinden werden selbstverständlich und ohne blöde Kommentare dazu getragen - es war übrigens die Ex-Wolfsburgerin Nilla Fischer, die die bunte Kapitänsbinde aus Schweden nach Deutschland brachte und so populär machte. Frauenfußball-Spiele gelten, ganz im Gegensatz zum Pendant bei den Männern, für viele LGBTQ-Personen als ein safe space, als ein Ort also, an dem sie sich sicher und wie sie selbst fühlen können.
Diese Wohlfühlblase im Frauenfußball wurde jüngst mit einer Heftigkeit gestört, die viele überraschte. Ausgangspunkt war eine freudige Nachricht: Chelsea-Spielerin Sam Kerr, eine der besten Stürmerinnen der Welt, und ihre Partnerin, US-Nationalspielerin Kristie Mewis, gaben bekannt, dass bei ihnen ein Baby auf dem Weg ist. Von ihren Teamkolleginnen und den allermeisten Fans des Frauenfußballs regnete es Glückwünsche.
Nicht lange dauerte es aber, bis die Nachricht auch in ganz andere Ecken des Internets getragen wurde, was auf der Plattform X, dem Lieblingsspielzeug von Trumps Buddy Elon Musk, heutzutage ja sehr schnell geht. Prompt meldeten sich bekannte Fußball-Influencer und vermeintliche Chelsea-Fans zu Wort.
Die Kommentare reichten von bestürzender Unkenntnis (wie geht das denn, das sind doch beides Frauen) zu üblen homophoben Beleidigungen. Die angeblichen Fans witterten den Untergang der christlichen - oder generell religiösen - Werte, wenn nicht gleich den Untergang der Welt. Ein Shitstorm, der enorm traurig war, heutzutage leider aber auch alltäglich.
Das Erstaunlichste daran war jedoch, dass sich selbst einige sogenannte Frauenfußball-Fans daran beteiligten, die absolut keinen Widerspruch darin sahen. Das betrifft aber nur eine winzige Minderheit, mit Abstand die meisten der Verfasser der hasserfüllten Kommentare waren Männerfußball-Fans, die durch die Nachricht wohl zum ersten Mal daran Interesse zeigten, dass auch Frauen Fußball spielen.
Bei den Hatern handelte es sich mitnichten nur um Fake-Accounts und Bots, sondern auch um Influencer wie "UTD Trey", den man - keine Sorge - nicht kennen muss, der aber auf X mit 1,2 Millionen Followern eine riesige Plattform hat. Und mit der nichts besseres anzufangen wusste, als zu verkünden, dass er nicht darauf klarkomme, dass Homosexuelle Kinder bekommen würden.
Es ist eine Episode, die eine aktuelle Debatte weiter anfachen dürfte: Welche Fankultur wollen wir zukünftig im Frauenfußball, und wie können wir den Spagat zwischen mehr Reichweite und dem Anspruch als safe space schaffen?
Viele Klubs wenden sich bei Marketing-Aktionen für große Spiele vor allem an die Fans des zugehörigen Männer-Teams. Bei ihnen wird das größte Potenzial gesehen, die Stadien zukünftig auch bei Frauenspielen stärker zu füllen. Und nun sollen diese Fans überhaupt nicht in Generalhaft genommen werden: Diejenigen, die mit Homosexualität auf Teufel komm raus nichts zu tun haben werden, fühlen sich von Aufrufen zum Frauenfußball vermutlich eh weniger angezogen.
Aber Fakt ist doch, dass im Männerfußball aktuell (noch) eine ganz andere Fankultur herrscht als bei den Frauen. Einige Entwicklungen sind bereits herübergeschwappt, nicht zur Freude von jedem: Aggressiver Umgang mit Spielerinnen, ständige Forderungen nach Trikots oder auch ein generell rüderer Umgangston.
Das soll überhaupt nicht heißen, dass der Frauenfußball ein Familienidyll sein muss, bei dem schon das kleinste "Ey, Schiri!" verpönt ist und keine Stimmung aufkommt. Im Gegenteil, solche Ideen sind oft infantilisierend. Aber wenn aktuell Fans en masse gewonnen werden, dann gehen damit auch unerfreulichere Entwicklungen einher, und zum Umgang damit braucht es Konzepte. Auch und gerade zum Schutz der Spielerinnen.
Kerrs Verein Chelsea sah sich aufgrund der massiven Anfeindungen bereits gezwungen, den Post zu löschen, anderswo wurden die Kommentare schnell geschlossen. Chelsea-Trainerin Sonia Bompastor verurteilte die homophoben Kommentare und versicherte Kerr ihre vollste Unterstützung: "Es ist verrückt, wie Menschen so reagieren können", sagte sie.
So macht statt der freudigen Nachricht wieder das Thema Homophobie die Runde. Es ist leidig, über die Intoleranz einer kleinen, aber lauten Minderheit zu sprechen. Zurecht kann auch gefragt werden, ob durch die permanenten Medienberichte nicht den Internet-Trollen genau die Aufmerksamkeit geboten wird, nach der sie lechzen. Aber Probleme können nicht unter den Teppich gekehrt werden.
Die massiven Anfeindungen zeigen auf die schlimmste Art, dass der Status des Frauenfußball als safe space alles andere als selbstverständlich ist. Der Männerfußball wiederum ist längst nicht so weit, wie ihn viele gerne hätten, weshalb die platten Forderungen nach einem baldigen Coming-Out auch eher kontraproduktiv sind.
Ein schmerzhaftes Erwachen waren die Anfeindungen wohl auch für diejenigen Organisationen, die sich für mehr Toleranz im Fußball, egal bei welchem Geschlecht, einsetzen. Der Verein Chelsea Pride veröffentlichte ein Statement zu der Situation: "'Nein zum Hass' ist nicht nur ein Slogan, sondern ein Schlachtruf. Er erinnert uns daran, dass wir weiterhin für das Richtige kämpfen müssen, für wahre Akzeptanz und für ein Spiel, das alle ohne Ausnahme einschließt. Wir weigern uns, schweigend daneben zu stehen", schrieben sie.
Der Weg zu einem wirklich toleranten Fußball, er ist noch weit.