Absagewelle beim DFB: Grund zur Sorge oder eine Chance?
Von Lennart Sörnsen
Die DFB-Elf trifft in den kommenden Tagen in der Nations League auf Bosnien-Herzegowina (Freitag, 11.10., 20.45 Uhr) und die Niederlande (Montag, 14.10., 20.45 Uhr). Dabei muss Trainer Julian Nagelsmann auf einige Spieler verzichten. Mit Marc-André ter Stegen, Robin Koch, Kai Havertz, Jamal Musiala, Niclas Füllkrug und zuletzt David Raum mussten bereits sechs Spieler absagen, die im Sommer noch bei der Europameisterschaft dabei waren. Auch Benjamin Henrichs steht auf der Kippe. Der Leipziger kämpft mit Rückenproblemen und verpasste deshalb die erste Trainingseinheit.
Damit fehlen in allen Mannschaftsteilen wichtige Stammkräfte. Im Tor muss der gerade erst zur neuen Nummer eins ernannte ter Stegen nicht nur in den beiden anstehenden Länderspielen ersetzt werden. Der Barca-Keeper wird wohl mindestens bis zum Saisonende ausfallen. In der Abwehr fällt mit Raum kurzfristig der etatmäßige Linksverteidiger aus. Dafür rückt Robin Gosens nach.
Besonders hart hat es aber die Offensive getroffen, mit den Ausfällen von Musiala, Füllkrug und Havertz. Mit Jamie Leweling vom VfB und Jonathan Burkardt rücken dafür zwei Neulinge nach, Kevin Schade (FC Brentford) feiert sein Comeback im DFB-Kader.
Kapitän Kimmich von Ausfällen besorgt
Die Ausfälle kommen zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Nach den Duellen gegen Ungarn und die Niederlande im September ist es das zweite Mal nach der Heim-EM, dass das DFB-Team zusammenkommt. Nach dem Turnier hatten einige Leistungsträger die Nationalmannschaft verlassen, kein Weltmeister von 2014 ist mehr an Bord.
Bei der DFB-Elf ist man daher logischerweise alles andere als begeistert von den Ausfällen. "Es ist schwierig, das aufzufangen, weil wir uns den Kern nicht über Jahre, sondern in den letzten Monaten erarbeitet haben", blickte etwa Kapitän Joshua Kiimich in einer Medienrunde am Dienstag besorgt auf die vielen Absagen.
Keine einfache Situation also für Nagelsmann, der seinen Plan über den Haufen werfen muss. Eigentlich wollte der 37-Jährige in den anstehenden Länderspielen wenig experimentieren. Vielmehr geht es dem Bundestrainer derzeit darum, einen Stamm zu finden, der im besten Fall bis zur Weltmeisterschaft 2026 zusammenspielen kann.
Stattdessen wird Nagelsmann die Mannschaft umbauen müssen. Im Tor und in der Abwehr dürfte dies am einfachsten sein. Für ter Stegen und Raum dürften Oliver Baumann und Maximilian Mittelstädt in die Startelf rücken. Mittelstädt hatte schon vor und während der EM eine wichtige Rolle unter Nagelsmann gespielt, war aber dann für Raum aus der Startelf gerutscht.
In der Offensive steht Nagelsmann vor einer größeren Aufgabe. Wie der kicker berichtet, sollen Rückkehrer Serge Gnabry und Deniz Undav gesetzt sein. Gnabry soll die Rolle von Musiala auf dem Flügel übernehmen. Für Undav gibt es zwei Möglichkeiten: Der 28-Jährige kann entweder auf der Zehn hinter einem klassischen Stürmer spielen, dann würde wohl einer der beiden Debütanten Tim Kleindienst oder Jonathan Burkardt die Rolle der Sturmspitze übernehmen. Oder Undav stürmt selbst ganz vorne. Dann könnten etwa Chris Führich, Jamie Leweling oder Kevin Schade in die Startelf rücken.
Ausfälle könnten auch zur Chance werden
Doch auch wenn die Ausfälle zunächst schwer wiegen und die Mannschaft sich so nicht finden kann: Die Absagen könnten sich auch als Chance erweisen. Mit Leweling, Kleindienst und Burkardt kommen drei neue Spieler zum DFB, die auch für die WM interessante Optionen sein könnten und sich derzeit in Topform befinden. Auch für Nagelsmanns Kader kann es von Vorteil sein, wenn sie nicht nur dabei sind, sondern auch wichtige Spielpraxis sammeln können.
Ausfälle gehören schließlich zum Profifußball und werden auch mit Blick auf die WM vorkommen. Da schadet es sicher nicht, wenn potenzielle Ersatzspieler bereits Erfahrungen in der Nationalmannschaft gesammelt haben. Zudem könnte insbesondere Leweling in seiner derzeitigen Form auch ohne Ausfälle ein ernsthafter WM-Kandidat werden.
Zudem fehlen durch die Ausfälle einige Führungsspieler der jungen Mannschaft. Gerade Füllkrug, aber auch ter Stegen und Vizekapitän Havertz hatten diese Rolle inne. Durch die Ausfälle können sich neue und junge Spieler als Wortführer etablieren, die sonst aufgrund der Hierarchie eher unauffällig agierten. Vor allem ein Florian Wirtz wird nun gefordert sein, als einzige verbliebene Stammkraft in der Offensive die neuen Mitspieler zu führen. "Wichtig wird sein, dass wir viele Spieler auf dem Platz haben, die Verantwortung übernehmen", betonte auch Kimmich.
Eine große Chance bietet sich auch Deniz Undav, der schon im September bei seinem Startelf-Debüt gegen die Niederlande mit einem Tor und einer Vorlage überzeugen konnte. Mit weiteren guten Auftritten, könnte der VfB-Angreifer die Wahrscheinlichkeit erhöhen, künftig auch mit Havertz, Musiala und Co. im Kader gesetzt zu sein.
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