"Ich habe damit gar nicht gerechnet" - Die 90min-Spielerin des Monats Lisanne Gräwe im Interview
Eintracht Frankfurt scheint die Lücke zu Wolfsburg und Bayern in dieser Saison endgültig geschlossen zu haben. Gegen die Wölfinnen konnten die Adlerträgerinnen dominant gewinnen, in München erzwangen sie die Punkteteilung. Und dabei mittendrin: Lisanne Gräwe. Cheftrainer Niko Arnautis wollte in keinem bisherigen Saisonspiel auf die 21-Jährige verzichten. Durch ihre guten Leistungen stand Lisanne Gräwe dann auch bei Bundestrainer Christian Wück auf dem Zettel und musste nicht lange auf ihr A-Nationalmannschafts-Debüt warten. Im 90min-Gespräch spricht Gräwe über ihre Entwicklung, die Eintracht-Frauen und ihr Debüt bei den DFB-Frauen.
Von Wolfsburg über Leverkusen zur Eintracht
Mit nur 16 Jahren wechselte Lisanne Gräwe zum VfL Wolfsburg, spielte dort hauptsächlich für die zweite Mannschaft, durfte allerdings bereits mit der ersten Garde trainieren. Nach zwei Jahren folgte dann der Wechsel aus der Autostadt zur Werkself. "Der Respekt, den ich vor den Spielerinnen bei Wolfsburg hatte, war zurecht sehr groß. Aber in gewissermaßen auch zu groß, dass ich mich immer selbst kleiner gemacht habe, als notwendig", resümiert Gräwe. Unter dem Bayer-Kreuz habe sich die Mittelfeldspielerin weiterentwickelt und konnte sich als Bundesligaspielerin einen Namen machen.
Nach abermals zwei Jahren bei Leverkusen stand dann der Wechsel zur Eintracht an. Die Werkself zu verlassen ist Lisanne Gräwe allerdings nicht einfach gefallen: "Ich muss sagen, es gab irgendwie keinen krassen Grund, der überwogen hat. Ich denke, ich wäre mit beiden Entscheidungen fein gewesen und ich habe auch echt lange überlegt. Aber ich hatte dann ein paar Gespräche mit Niko und im Endeffekt hat mein Bauchgefühl dann entschieden".
Eine richtige Entscheidung, wie sich kurze Zeit später rausstellen sollte. "Ich hatte gar nicht das Gefühl, dass ich unbedingt den Verein gewechselt habe", so Gräwe. Die Eintracht-Frauen hätten sie gut ins Team aufgenommen. In der Mainmetropole fühle sich Lisanne Gräwe wohl. Und das ist für die junge Spielerin auch von immenser Bedeutung: "Ich bin eine Spielerin, die Leistung bringen kann, wenn sie sich wohlfühlt und das kann ich hier zu 100 Prozent unterschreiben. Ich habe das Gefühl, dass ich hier am richtigen Ort bin, um mich weiterzuentwickeln".
"Ich bin daran gewachsen" - Der unverhoffte Weg zur Stammspielerin
Lisanne Gräwe gilt jetzt schon als einer der Shooting-Stars am deutschen Frauenfußball-Himmel. Teamkolleginnen und Verantwortliche der Eintracht sehen in ihr ein Riesen Potenzial. Gräwes Passgenauigkeit, Spielübersicht und Zweikampfverhalten heben die erst 21-Jährige bereits von der Masse hervor. Verbesserungspotenzial gibt es dennoch. "Es ist wichtig für meine kommenden Jahre, dass ich mich hier weiterentwickeln kann und ein bisschen mutiger spiele", erklärt die Mittelfeldspielerin.
Stichwort Weiterentwicklung: Durch die schwere Kreuzbandriss-Verletzung der Eintracht-Kapitänin Pawollek musste Lisanne Gräwe schnell in eine neue und verantwortungsvolle Rolle als Stammspielerin schlüpfen. "Mich haben viele gefragt, wie ich damit umgehe und dass es jetzt meine Chance ist. Ich habe das aber nie so gesehen. Ich fand es einfach schade, dass Tanja uns fehlt, weil sie einfach ein toller Mensch ist und wichtig fürs Team ist. Dann habe ich mich einfach gefreut, dass ich spielen durfte und habe versucht, so gut es geht zu übernehmen", stellt Gräwe klar. Druck habe sie trotz der herausfordernden Position und Situation nie verspürt: "Ich habe auch vom Team immer Rückhalt gespürt, sodass ich wenn ich Druck hatte, ihn mir selbst gemacht habe. Auch Niko [Arnautis] stand immer hinter mir". Die Phase habe ihr Spaß gemacht und sie sei daran gewachsen.
Debüt bei den DFB-Frauen: "Ich habe damit gar nicht gerechnet"
Die positive Entwicklung von Lisanne Gräwe hat auch das Trainerteam der DFB-Frauen verfolgt. Bundestrainer Christian Wück nominierte die Frankfurterin für seinen ersten Lehrgang Ende Oktober. "Ich habe damit gar nicht gerechnet. Es ist ja jetzt auch die U23 eingeführt worden und ich habe damit gerechnet, dass ich dann eher dafür eingeladen werde. Umso schöner ist es, dass ich dann da mitfahren und die ganzen Eindrücke und Abläufe kennenlernen durfte. Es war eine mega coole Erfahrung, aber ich hätte nicht gedacht, dass es so schnell geht", betont Gräwe.
Von der Nominierung erfuhr Gräwe vom Bundestrainer höchstpersönlich, der ihr die frohe Botschaft direkt im Anschluss des 6:0 Triumphes über Freiburg an einem Montagabend überbrachte. "Ich bin raus zu ihm hin, wir haben kurz gequatscht und er meinte, dass er mich mitnimmt. Ich habe mich einfach mega gefreut", denkt Gräwe an den Moment zurück.
Das Spiel gegen England im Wembley-Stadion verfolgte die 21-Jährige noch auf der Bank. Nur wenige Tage später gegen Australien durfte Lisanne Gräwe dann ihr Startelfdebüt feiern und eine Halbzeit im Trikot der DFB-Frauen absolvieren. "Ich hab mich mega aufs Spiel gefreut. Die ersten zehn Minuten war ich schon ein bisschen aufgeregt, aber das hat sich irgendwann auch gelegt. Ich war froh, dass meine Familie und Freunde im Stadion waren - das schätze ich sehr."
Im kommenden Sommer findet die Europameisterschaft in der Schweiz statt. Wird das das nächste Traumziel von Lisanne Gräwe? "Große Turniere sind ja sowieso immer das, worauf man hinarbeitet. Mein Ziel ist es erst mal wieder nominiert zu werden. Die EM ist für mich noch lange hin. Klar möchte ich dabei sein, es wäre ein Traum für mich und mal schauen was bis dahin noch alles passiert", so die frischgebackene A-Nationalspielerin.
Über Eintrachts Formstärke und das UWCL-Aus
Doch bevor es potenziell in die Schweiz geht, steht Lisanne Gräwe noch eine lange Saison mit den Eintracht-Frauen bevor. Die Frauen-Bundesliga sei in ihrer Wahrnehmung enger geworden und der Niveauunterschied nicht mehr so gravierend. Teil davon sind auch die Adlerträgerinnen, die bisher eine gute Saison spielen und im Vergleich zur abgelaufenen Spielzeit eine Weiterentwicklung hingelegt haben. "Ich glaube, dass wir im ganzen erwachsener und ruhiger mit dem Ball spielen, den Ball laufen lassen und uns die Gegner somit dann auch zurechtlegen. Wir sind geduldig und effizient vor dem Tor. Aber auch hinten sind wir enorm stark in dieser Saison. Wir lassen sehr wenig zu und machen vorne die Dinger - das ist das, was uns am Ende auszeichnet", stellt Gräwe heraus. Verbesserungspotenzial würde es immer geben. Laut der 21-Jährigen könne ihr Team die Leistung noch etwas konstanter halten und eiskalter werden.
Ein weiteres Ziel sei natürlich das Erreichen der Women's Champions-League, "vielleicht auch schon über direktem Wege". Nach dem bitteren Ausscheiden in den Play-Offs, wodurch sich die Eintracht nicht für die Gruppenphase qualifizieren konnte, habe das Team das Ganze kritisch betrachtet. "Im Ganzen würde ich sagen, dass es uns als Team zusammengeschweißt hat. Danach haben wir auch in der Liga top performt, sind nicht eingebrochen oder haben uns davon runterziehen lassen", blickt Lisanne Gräwe zurück. Die Bedingungen, um UWCL zu spielen, seien bei den Adlerträgerinnen gegeben. "Jede einzelne Spielerin hat das Niveau auf internationalen Level zu spielen und zu performen. Es ist das, wo wir hinwollen, dass wir international konstant Leistung zeigen", ist sich die junge Mittelfeldspielerin sicher. Sollten die Eintracht-Frauen weiterhin so konstant und solide ihre Leistung auf den Rasen der Frauen-Bundesliga bringen, ist das Ziel der UWCL-Gruppenphase mehr als realistisch. Lisanne Gräwe wird weiterhin alles geben, um ihrer Eintracht zu Erfolg zu verhelfen.