83 Millionen Bundestrainerinnen und -trainer? Das Vertrauen in Wück zählt

Nach der Niederlage gegen Italien wurden in den sozialen Medien kritische Stimmen laut. Unter Bundestrainer Christian Wück verläuft zwar noch nicht alles reibungslos, doch das Vertrauen in Wück zählt.
Christian Wück mit Linda Dallmann
Christian Wück mit Linda Dallmann / Ralf Ibing - firo sportphoto/GettyImages
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Nach der Niederlage gegen Italien machten sich in den sozialen Medien sofort pessimistische Stimmen breit und Kritik am Bundestrainer Christian Wück ließ nicht lange auf sich warten. Wück sei vielleicht doch nicht der richtige Trainer für die deutsche Frauen-Nationalmannschaft. Wück hatte bisher nur Jungen- und Männermannschaften trainiert - ein Fehler, ihn nun zum Cheftrainer einer Frauenmannschaft ernannt zu haben? Dabei klangen die Stimmen kurz zuvor noch ganz anders. Nach dem ersten Spiel unter dem neuen Bundestrainer gegen England im Wembley-Stadion wurde er in den sozialen Medien regelrecht in den Himmel gelobt, Deutschland sei auf dem Weg zum Europa- und Weltmeistertitel. So oder so ähnlich las es sich in den sozialen Medien, vor allem auf X (ehemals Twitter). Oft dominiert bei Fans auf der Plattform entweder die Europhorie oder die Schwarzmalerei, ein gesundes Mittelmaß ist nur selten zu finden.

Parallelen zu Julian Nagelsmann

Zwei seiner bisherigen Spiele hat der 51-Jährige gewonnen, die anderen beiden verloren. Während viele den Ansatz von Wück lobten, wurde er von einigen Usern bereits scharf kritisiert. Ähnlich erging es vor einem Jahr Julian Nagelsmann, dem Cheftrainer der deutschen Herren-Nationalmannschaft. Nach einem guten Start folgten im November letzten Jahres zwei Niederlagen gegen die Türkei und Österreich - und das sieben Monate vor der Europameisterschaft im eigenen Land. Die Stimmung war schlecht, die letzten Turniere unter Jogi Löw und Hansi Flick verliefen miserabel, doch in diesem Sommer feierte das ganze Land Nagelsmann und seine Mannschaft.

Zwischen Nagelsmann und Wück lassen sich durchaus Parallelen ziehen. Beide übernahmen die Nationalmannschaften weniger als ein Jahr vor der Europameisterschaft und beide taten dies in keiner einfachen Situation. Die Herren hatten eine sportliche Talfahrt hinter sich und auch die Frauenmannschaft kämpfte mit einer Neuorientierung. Nach einer spektakulären EM 2022 folgte bei der WM im vergangenen Jahr unter Martina Voss-Tecklenburg der knallharte Realitätscheck. Unter Interimstrainer Horst Hrubesch stabilisierten sich die DFB-Frauen wieder, doch das knappe Jahr unter dem Kopfballungeheuer war nicht nur von Höhen geprägt, sondern auch schwache Leistungen gehörten zur ganzen Wahrheit. 

Der Umbruch unter Wück: Chance und Herausforderung

Nach vielen Rücktritten blieb Wück keine andere Wahl, als die Mannschaft umzubauen und neue Spielerinnen zu integrieren. Doch auch ohne die personellen Wechsel wäre es fatal gewesen, wenn der 51-Jährige kaum etwas verändert hätte. Wück wurde nicht Bundestrainer, um in die Fußstapfen von Hrubesch und Voss-Tecklenburg zu treten. Er ist es geworden, um mit der Mannschaft seinen eigenen Weg zu gehen. Dazu gehört es, verschiedene Konstellationen auszuprobieren und jungen Spielerinnen Chancen zu geben, selbst wenn diese Fehler machen. Der Prozess erfordert Geduld, sowohl von Seiten des Trainerteams, aber auch von Fans und Medien. Es ist daher nicht verwunderlich, dass in den ersten Spielen unter Wück nicht alles reibungslos verlief. Niederlagen gehören zum Fußball dazu - Wück wird seine Schlüsse daraus ziehen, um im kommenden Jahr mit seiner Mannschaft die nächsten Schritte zu gehen. 

Die Erwartungshaltung an die deutsche Nationalmannschaft ist nach wie vor, um Titel mitzuspielen. Das ist gut so und soll auch so bleiben. Aber es wäre naiv zu glauben, dass dies ohne Rückschläge gelingt. Der Gewinn der Bronze-Medaille bei den Olympischen Spielen war ein gutes Zeichen, dass es wieder bergauf geht, doch mit Wück begann nun ein neues Kapitel. Die Ansätze - offensiver Fußball mit viel Spielfreude - sind vorhanden. Nun gilt es, diese zu vertiefen und Wück und seiner Mannschaft noch etwas Zeit zu geben, bis man die Arbeit des gesamten Teams beurteilen kann. 

Die Leidenschaft der Fans ist ein wesentlicher Bestandteil des Sports, doch statt zwischen den Extremen hin- und herzuschwanken, gilt es für alle Fans der deutschen Nationalmannschaft, der Mannschaft Vertrauen zu schenken. Sonst hat das Land wieder 83 Millionen Bundestrainerinnen und -trainer. Das braucht nun wirklich niemand.